Jonas Ganter: Die Herausforderungen des demokratischen Sozialismus in einer globalisierten Welt

Sozialdemokratischer Internationalismus = Alternative zur neoliberalen Markthörigkeit? Ganter schreibt: «Viele moderne Projekte der Sozialdemokratie waren lediglich Reaktionen auf die wirtschaftlichen Folgen der Globalisierung, etwa die Agenda 2010 zur Erhaltung der internationalen Konkurrenzfähigkeit. Diese Projekte waren keine eigene Initiative, kein sozialdemokratischer Wunsch, sondern eine passive Reaktion auf eine sich verändernde Welt.»

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Die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche der letzten Jahre und Monate haben die europäische Sozialdemokratie in eine tiefe Krise gestürzt. Diese Erkenntnis lässt sich spätestens mit Blick auf die Wahlergebnisse nicht mehr leugnen. Von Skandinavien bis Griechenland verzeichnen die altehrwürdigen Arbeiterparteien, von einzelnen regionalen Erfolgen abgesehen, keine großen Siege mehr und sehen ihren Status als Volksparteien zu Recht in Frage gestellt.  Gründe für diesen Zustand mag es viele geben , doch spiegelt sich in einem gleichzeitigen politischen Phänomen, dem Aufstieg zahlreicher rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen, eine Ahnung davon, was zumindest auch zum Vertrauensverlust der Menschen in die Sozialdemokratie beigetragen hat. Der folgende Text soll daher eine Analyse dieses Problems darstellen und zugleich ein Vorschlag zur politischen Marschrichtung des Demokratischen Sozialismus sein.

«Mauern hoch, Schotten dicht!»: das politische Konzept der neuen Rechten

Setzt man sich mit der Programmatik der rechtspopulistischen Parteien unserer Zeit auseinander, so fällt auf, dass deren gemeinsame Schnittmenge vor allem in der vermeintlichen Lösung von Problemen durch Ausgrenzung, Abschottung und Einmauerung zu finden ist. Die Grenzziehung erfolgt dabei stets sowohl außenpolitisch durch Betonung und Verherrlichung des eigenen Nationalismus, als auch innergesellschaftlich im Wege eines klaren «Wir gegen die»-Feindbildes. Davon betroffen sind, in Anknüpfung an die nationalistische Haltung, vor allem Menschen, die als «Fremdkörper» im sonst vermeintlich geeinten «Volkskörper» wahrgenommen werden, sei es aufgrund ihres Aussehens, ihrer Herkunft, politischer Ansichten oder der sexuellen Orientierung. Der erklärte Feind dieser neu-rechten Bewegungen ist also, zusammengefasst, eine außenpolitisch offene Welt, die zugleich innerhalb der eigenen gesellschaftlichen Räume als Transportmedium der Toleranz gegenüber dem „Anderen“ und damit ebenfalls offener Werte fungiert. Daher darf Globalisierung als Angriffsfeld der neuen Rechten nicht allein als weltumspannender ökonomischer Konkurrenzwettbewerb verstanden werden. Durch die Wanderung von Arbeit und Kapital findet vielmehr auch eine Begegnung von Menschen und Ideen mit verschiedensten Hintergründen statt. Diese ökonomische und kulturelle Vermischung ist es letztlich, welche von AfD, PEGIDA, aber auch dem designierten US-Präsidenten Donald Trump zur Wurzel allen Übels erklärt wird. Einem solchen Weltbild muss sich eine Politik des demokratischen Sozialismus aus zwei Gründen konsequent entgegenstellen. Zum einen haben die faschistischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts unmissverständlich klar gemacht, wohin eine Politik der völkischen Ordnung führt und mit welchem Blutzoll sie bezahlt wird. Hier verbietet bereits die Selbstverpflichtung des demokratischen Sozialismus zu den Werten des Humanismus jede Diskussion über Grenzschließung, Obergrenzen und Leitkultur. Zum anderen ist der Glaube an die bloße Möglichkeit der Abschottung aber auch hoffnungslos naiv. Das Scheitern des so genannten «Realsozialismus» hat gezeigt, wohin die Durchsetzung einer Alternative zum globalen Kapitalismus mittels Mauern und Abschottung führt. Wer sich selbst vom Wohlstand und den Chancen der Welt ausgrenzt, der wird auch ausgegrenzt und zwar in jeder Hinsicht. Das Ergebnis dieser Politik war nicht nur der wirtschaftliche Niedergang dieser Systeme, sondern auch die Verkümmerung des intellektuellen Potentials auf ein Niveau kleinbürgerlicher Engstirnigkeit.

1989 war es der Wunsch der Menschen nach Freiheit und Selbstverwirklichung, der die Grenzen fallen ließ. Dies gilt auch heute, erst recht in einer Zeit, in der die Welt durch das Internet und die erheblich erleichterten Möglichkeiten globaler Fortbewegung in einem Maße zusammengewachsen ist, dass sich das Überschreiten von Grenzen nur noch mit unmenschlicher Gewalt verhindern lässt. Der Drang zur Freiheit äußert sich heute wie damals in dem unbändigen Wunsch nach einer besseren Zukunft und dem ehrgeizigen Streben danach. Auch um den Preis des eigenen Lebens. Die westlichen Wohlstandsgesellschaften, die sich mit diesem Phänomen auseinandersetzen müssen, werden spüren, dass sie gegen den Wunsch nach Freiheit auf Dauer genauso wenig ausrichten können, wie es Stacheldraht und Todesstreifen damals konnten.

Das Streben nach Glück: Warum die Sozialdemokratie eine offene Welt als Chance begreifen muss

Daher ist es die Pflicht demokratischer Sozialist*innen, die sich nicht bloß mit programmatischen Dogmen  begnügen wollen, Lösungen für die Herausforderungen dieser globalisierten Welt zu finden. Zur «sozialen Frage», als historisches Narrativ der Sozialdemokratie, ist in der heutigen Zeit die nicht minder wichtige «internationale Frage» getreten: wie wollen wir Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität in einer globalisierten Welt bestmöglich umsetzen? Dabei hilft es zunächst, die Chancen dieser Entwicklungen für eine progressive sozialistische Politik in den Blick zu nehmen. Die Tatsache, dass Menschen sich über Grenzen hinweg austauschen, gegenseitig bereichern und ihr Glück nicht nur im Rahmen des eigenen nationalen und kulturellen Horizonts suchen, ist für sich genommen eine Chance zur Selbstverwirklichung des Individuums und des Zusammenwachsens der Menschheit und damit auch eine  Entwicklung im Sinne einer sozialistischen Gesellschaft. Doch obwohl dieser Umstand auch von liberalen Theoretikern immer als Ziel einer Welt der offenen Märkte verkündet wurde, so ist doch die Globalisierung, die wir heute erleben, im Kern durch das marktradikale Dogma «Der Markt steht über dem Menschen» geprägt. Dies führt zu dem perversen Ergebnis, dass eine unter unmenschlichen Bedingungen in Bangladesch hergestellte Jeans die Grenzen mit Leichtigkeit überschreitet, während Menschen bei diesem Versuch im Mittelmeer ertrinken. Die Frage ist also nicht, ob Globalisierung im Sinne eines demokratischen Sozialismus ist, sondern welche Art der Globalisierung.

Beispielhaft für diese Problematik ist auch die jüngste Diskussion um das Freihandelsabkommen CETA. Die SPD, welche sich mehrheitlich zu CETA bekennt, hat hier im Grunde Recht, wenn Sie der politischen Pflicht gerecht werden will, Globalisierung aktiv zu gestalten, anstatt sie einfach durch die «unsichtbare Hand» der Märkte lenken zu lassen. Ob dafür aber ein Freihandelsabkommen wie CETA der richtige Weg ist, darf aus vielerlei Gründen bezweifelt werden. CETA und TTIP sind politische Projekte, welche die Gestaltung einer Welt ohne Grenzen abhängig machen vom Dogma des freien Warenverkehrs. Sicherlich sind gerade bei CETA auch Erleichterungen für Visa und damit für die globale Reisefreiheit enthalten. Diese dienen aber einzig dem Austausch von Fachkräften und Dienstleistungen und stehen damit ebenfalls unter dem Diktat des Kapitals. Dieses wirkt sich nicht nur auf die Länder des globalen Südens aus. Viele Wähler*innen der oben beschriebenen neu-rechten Parteien fürchten ebenfalls um den Verlust ihres Wohlstands durch die Globalisierung, vor allem durch Konkurrenz um soziale Ressourcen, etwa auf dem Arbeitsmarkt. Dies zeigt sich vor allem auch in der rassistisch geprägten Ablehnung von Einwanderung, welche nach der Sündenbocktheorie als Platzhalter für den Konflikt um ökonomische Abhängigkeit fungiert. Die daraus resultierende Angst vor einer offenen Welt, und damit Hauptargument für das Erstarken der Populisten, richtet sich nicht per se gegen eine offene Gesellschaft. Sondern gegen eine Offenheit, die nicht den Menschen, sondern seine Arbeitskraft als Ware in den Mittelpunkt stellt.

Die internationale Solidarität: zur Notwendigkeit einer aktiven Gestaltung der Globalisierung

Der demokratische Sozialismus des 21.  Jahrhunderts muss sich einer solchen Entwicklung entgegenstellen. Er muss das Zusammenwachsen der Menschheit zum Ziel der Globalisierung machen und nicht das Wirtschaftswachstum als Selbstzweck fördern. Viele moderne Projekte der Sozialdemokratie waren lediglich Reaktionen auf die wirtschaftlichen Folgen der Globalisierung, etwa die Agenda 2010 zur Erhaltung der internationalen Konkurrenzfähigkeit. Diese Projekte waren keine eigene Initiative, kein sozialdemokratischer Wunsch, sondern eine passive Reaktion auf eine sich verändernde Welt. Die Sozialdemokratie muss aufhören, diesem neoliberalen System hinterherzulaufen und anfangen, eine offene Welt aktiv im Sinne ihrer Grundwerte zu gestalten. Je stärker die weltweiten Volkswirtschaften miteinander verbunden sind, desto stärker muss auch wieder der alte Gedanke der internationalen Solidarität in den Vordergrund rücken. Eine globale Solidarität gebietet es, keinen Unterschied zu machen zwischen dem Arbeitskampf eines deutschen Gewerkschaftsmitglieds und eines chinesischen Fabrikarbeiters. Die Gerechtigkeit von morgen muss global gedacht werden. Die Beseitigung von Grenzen stellt uns vor neue Herausforderungen, aber sie bietet auch Chancen. Diese sollten wir nutzen und der Angst und Abschottungspolitik der Populisten ein mutiges «Vorwärts!» entgegensetzen. Vorwärts in eine gemeinsame Welt, vorwärts in eine bessere Zukunft!


Jonas Ganter, (*1990) aus Heidelberg. 2011 Abitur an der Käthe-Kollwitz-Schule in Bruchsal (Baden-Württemberg), anschließend ab Oktober 2011 bis heute Studium der Rechtswissenschaften mit Schwerpunkt Asyl- und Migrationsrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seit 2009 Mitglied der SPD und der Jusos, 2013 – 2015 Stellv. Vorsitzender der Jusos Halle und Vorsitzender der Juso-Hochschulgruppe Halle. Seit 2013 Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung. Seit 2014 Mitglied des Praxisprojekts Migrationsrecht an der Martin-Luther-Universität.

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