Zur dritten Ausgabe (02/2017)

Wie steht es um den Zustand der Demokratie? Hendrik Küpper leitet mit seinem Vorwort in das Thema der dritten Ausgabe (02/2017) ein: Postdemokratische Verhältnisse und autoritäre Regression – Überlegungen zur Verwirklichung einer lebendigen Demokratie als Grundlage des Sozialismus.

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Der Jenaer Soziologe Hartmut Rosa stellte auf einem Vortrag in Berlin im Februar 2017 die folgende Zeitdiagnose: dass sich die moderne Gesellschaft nur dynamisch stabilisieren kann und sie dadurch strukturell auf Beschleunigung und Wachstum angelegt ist, führt durch ein ungleichmäßiges Dynamisierungspotential bestimmter Welt- und Sozialbereiche dazu, dass es zu Desynchronisationen kommt. Da sich nun Märkte und auch die Medienlogik stärker als die Demokratie beschleunigen lassen, kommt es auch zu einer demokratischen Desynchronisation.[1] Neben Hartmut Rosa sehen zudem viele andere zeitdiagnostische Studien und Überlegungen die Demokratie im Zusammenhang mit dem Wirtschaftssystem in der Krise. Beispielsweise wurde im Rahmen des BMBF-Projektes „Postdemokratie und Neoliberalismus“[2] mit der Bestätigung der Annahme der Ökonomisierung des politischen Diskurses eine zentrale These der Postdemokratie-Debatte nachgewiesen.

Da diese Ausgabe zugleich die erste Ausgabe nach der Bundestagswahl ist, wollen wir dies – geleitet von der Annahme, dass Sozialismus und Demokratie nicht untrennbar voneinander gedacht werden können – zum Anlass nehmen und nach dem Zustand der Demokratie fragen. Denn nicht nur der vergangene Wahlkampf zeigte: die institutionellen Voraussetzungen einer parlamentarischen Demokratie westlicher Prägung scheinen zwar intakt zu sein, jedoch lassen sich zahlreiche Krisenphänomene beobachten, die sich etwa in der Verrohung und Eskalation der politischen Kultur, dem Legitimitätsverlust politischer Akteurinnen und Akteure sowie durch eine politische Apathie der Bürgerinnen und Bürger und der Abkehr innerparteilicher Debatten zugunsten einer medienkonformen Inszenierung äußern. Diese Krisenphänomene lassen sich allesamt unter dem angesprochenen, demokratietheoretischen Begriff der Postdemokratie subsumieren oder zumindest daraus ableiten. Was ist also dran an der postdemokratischen These der Abnahme politischer Partizipation zugunsten bloßer Inszenierungen, einer Ökonomisierung der Gesellschaft und dem Verkommen von Wahlkämpfen zu «einem reinen Spektakel»[3]? Wäre das alleinige Verfehlen einer lebendigen Demokratie mündiger Bürgerinnen und Bürger nicht schon schlimm genug, lässt sich zugleich durch den Aufstieg autoritärer Demagogen und rechtspopulistischer Parteien in vielen Ländern eine autoritäre Regression beobachten. Dabei hat auch die Sozialdemokratie noch keine passenden Antworten gefunden.

Die dritte Ausgabe der «jungen perspektiven» soll daher sowohl auf die Ursachen und den Kontext verschiedener Krisenphänomen sowie der aktuellen Entwicklungen eingehen als auch Lösungsansätze und Strategien der Demokratisierung und Politisierung andenken. Ein Interview mit der Philosophieprofessorin Susan Neiman «zum Zustand der Demokratie und der Sozialdemokratie» eröffnet die Debatte. Fedo Hagge-Kubat, Katharina Hellbach, Moritz Rudolph, Merle Stöver und Jöran Klatt folgen mit Beiträgen zu gesellschaftlichen Krisendiagnosen und -phänomenen während Carsten Schwäbe, Robert Budras und Mark Fischer Überlegungen zur Erneuerung der SPD sowie zur (innerparteilichen) Diskussionskultur darlegen. Die Sozialismusdebatte wird diesmal aus Reihen der Juso-Hochschulgruppen fortgeführt. Während Julia Müller aus Freiburg und ein gemeinsamer Text von Hochschulgruppenmitgliedern der FU Berlin nach einem zeitgemäßen demokratischen Sozialismus fragen, beschäftigt sich Mia Thiel als ehemaliges Bundesvorstandsmitglied mit dem Verhältnis von Sozialismus und Feminismus. Die Rezensionen von Mathis Römer, Toni Kraus und Christian Fischer schließen die Ausgabe.

[1] Das Video des Vortrags, der am 27.2. bei der Heinrich-Böll-Stiftung gehalten wurde, ist auf YouTube abrufbar: Resonanz: Hartmut Rosa über die Soziologie des guten Lebens. URL: https://www.youtube.com/watch?v=S-bHnM3Uwuk – zuletzt aufgerufen am 07.12.2017. [2] Die wesentlichen Ergebnisse dieses Projektes sind unter dem URL-Link: http://www.epol-projekt.de/ – zuletzt aufgerufen am 07.12.2017 – zusammengefasst. [3] Crouch, Colin: Postdemokratie. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008, S. 10.

Hendrik Küpper, Dezember 2017

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