Diese Menschen sind gefährlich, haben sich nie falsch bekannt
Sie sind völlig unverfroren in ihre kleine Welt gebannt […]
Diese Menschen sind gefährlich, sie sind gänzlich unverdreht
Sie leben völlig selbstverständlich, Terror als Identität.1
Als Menschen können wir uns der Gesellschaft nicht entziehen. Wir sind davon abhängig, unser Zusammenleben auch zusammen zu gestalten. Dass uns dieser Satz trivial vorkommt, war nicht immer der Fall. Erst mit dem Siegeszug liberalen Denkens und dem Aufkommen der bürgerlichen Gesellschaft lässt sich von einem gemeinsamen Gestalten des eigenen Lebens sprechen. Erst nach dem Ende der feudalen Herrschaft ist unsere Geschichte als gestaltbar denkbar geworden.
Dabei hat die bürgerliche Gesellschaft dieses Ideal nie real verwirklicht. Gesellschaften sind bis heute von Ausschlüssen und Unterdrückung gekennzeichnet. Diese Logiken scheinen sich in den letzten Jahren wieder verstärkt zu haben. Statt das aufklärerische Ideal zum Sozialismus zu radikalisieren, wie jüngst die Philosophin Lea Ypi forderte, 2 wird die Idee eines freien und gleichberechtigt solidarischen Lebens von fast allen politischen Optionen: von den sogenannten «Rändern» und aus der vermeintlichen «Mitte» infrage gestellt.
Rechte und neo-faschistische Kräfte rufen auf zum Kampf gegen den «woken» Westen und fordern den Rückbezug auf traditionelle Werte und nationale Gemeinschaften. Radikal kapitalistische und neoliberale Akteur:innen zerstören soziale Sicherungssysteme und führen unter dem Deckmantel der «Meritokratie» eine kleptokratische Klientelpolitik durch. Aber auch deren eigentliche Widersacher, sich als antikapitalistisch und antifaschistisch verstehende «Rote Gruppen», setzen nicht mehr auf die Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen, sondern organisieren sich in autoritären Kaderstrukturen, verbreiten manichäische Weltbilder und gehen im Namen des Kampfes gegen den «Westen» Querfronten mit islamistischen Fundamentalisten ein. Diese Islamisten haben sich schon seit Jahrzehnten auf den Kampf gegen den «liberalen Westen»eingeschossen und präsentieren dagegen eine Zukunftsvision, die Elemente der modernen autoritären Herrschaft mit religiös begründeter Ideologie verbindet. Wiederum christliche Fundamentalisten (in ihrer evangelikalen oder katholischen Version) stützen als breite Basis den gegenwärtigen autoritären Staatsstreich in den USA und in ihrer orthodoxen Variante das nach innen und außen aggressive Regime Putins.
Und gleichzeitig werden aus der «politische Mitte» in Deutschland, die sich doch selbst immer wieder als Basis der parlamentarischen Demokratie adelt, demokratische Beteiligung und Meinungsbildungsprozesse als «Luxus» markiert, den man sich in solch turbulenten Zeiten – in Zeiten eines Angriffskrieges in Europa und in Zeiten, da die AfD droht, auch auf Bundesebene zur stärksten Kraft zu werden, nicht leisten könne. Jetzt müssten eben mal alle Demokrat:innen richtig zusammenstehen – aber bitte ohne Diskussionen darum, wohinter eigentlich – das sei doch angesichts der aktuellen Lage gesunder Menschenverstand. Doch der Rückbezug auf diesen durch die selbsternannten Retter:innen der Demokratie ist ein Kurzschluss, ist selbst ein Verfall in autoritäre Denkmuster: «Gerade wer der Dummheit des gesunden Menschenverstandes keine Konzession machen will, muß sich hüten, Gedanken, die selber der Banalität zu überführen waren, stilistisch zu drapieren.»3
So unterschiedlich diese Bedrohungen, ihr Programm und ihre Methoden sind, sie alle kommen in einem autoritären Denken und Handeln über die und in der Welt zusammen. Die Form dieses Denkens ist die der falschen Identität von Begriff und Objekt, von Weltanschauung und Welt. Theodor W. Adorno und Max Horkheimer haben diese Form in ihren Elementen des Antisemitismus in der Dialektik der Aufklärung als falsche Projektion beschrieben. Die Projektion «ist das Widerspiel zur echten Mimesis […]. Wenn Mimesis sich der Umwelt ähnlich macht, so macht falsche Projektion die Umwelt sich ähnlich.»4
Die Welt übersteigt uns. Unser Verhältnis zu ihr ist immer ein prekäres. Das autoritäre Denken und mit ihm jede autoritäre Praxis verkennt dies. Autoritäres Denken sei, wie die Welt ist und wie sie immer sein wird. Die Praxen, die sich um ein solches Denken organisieren, sind zwangsläufig gewaltvoll gegenüber allem, was sich nicht identisch mit ihnen zeigt. Dabei kann sich die Theorie, mit der die autoritäre Medusa die Welt zu Stein werden lässt, auf ganz unterschiedliche Dinge berufe:. Auf eine erstarrte, positivistische Rationalität, die die Welt beherrscht. Auf einen transzendentalen Gott, der die Welt geschaffen und geordnet hat. Oder auf einen ins Metaphysische fallenden Materialismus, der die Welt in ewigen Kategorien erklären will.
Gemein ist all diesen Ansätzen, dass sie die dialektische Verschränkung von Subjekt und Objekt, von Menschen und Welt im epistemischen Prozess nicht denken können. Der Gegenentwurf ist die Mimesis, die schon Walter Benjamin für die Herausbildung jeder «höheren Funktion»5 des Menschen mitverantwortlich gemacht hat. Die Mimesis ist die Überbrückung des «Abgrunds»6, die das Subjekt leisten muss. Denn
«[u]m das Ding zu spiegeln, wie es ist, muß das Subjekt ihm mehr zurückgeben, als es von ihm erhält. Das Subjekt schafft die Welt außer ihm noch einmal aus den Spuren, die sie in seinen Sinnen zurücklässt: die Einheit des Dinges in seinen mannigfaltigen Eigenschaften und Zuständen; und es konstituiert damit rückwirkend das Ich, indem es nicht bloß den äußeren sondern auch den von diesen allmählich sich sondernden inneren Eindrücken synthetische Einheit zu verleihen lernt. Das identische Ich ist das späteste konstante Projektionsprodukt.»7
Dieses mimetische In-die-Welt-Eintauchen, lässt diese für uns erst entstehen. Es gilt weiterhin der Vorrang des Objektes, jedoch ist für Horkheimer und Adorno wichtig, dass dieses Objekt vom Subjekt nie abschließend und endgültig begriffen werden kann und das Subjekt über das mimetischen Vermögen das Objekt als verdoppelte Projektion erst für sich intelligibel macht. Wir können die Welt nur verstehen, indem wir etwas von uns in sie hineinlegen. Doch ist dieser Moment immer nur flüchtig. Die Mimesis ist «an ein Aufblitzen gebunden. [Sie] huscht vorbei […]» und «kann nicht eigentlich […] festgehalten werden.»8
Die autoritären Praxen, die wir in diesem Band untersuchen wollen, entziehen sich allesamt diesem Zugang zur Welt. Sie unterbrechen die Verschränkung und lassen das Ich erstarren. Statt der Welt im Bewusstsein der eigenen Fehlbarkeit und der Unabgeschlossenheit des eigenen Wissens mit Neugier zu begegnen, versucht das Autoritäre, die Welt nach einer ewigen Wahrheit zu formen. Zur Not geschieht dies mit Gewalt. Diese Gewalt ist es, die Benjamins Engel mit aufgerissenen Augen, offenem Mund und gespreizten Flügeln sieht.9 Und es ist diese Gewalt, die im folgenden Thema sein wird.
In dieser Ausgabe denkt Huw Davies zunächst in inhaltlicher Auseinandersetzung
mit Hannah Arendt über Autorität und die Grundlagen von Autoritarismus und Totalitarismus nach. Ihm folgt Jan Niklas Reiche, der das Leistungsprinzip als verbindendes Element von Neoliberalismus und Neuer Rechter beleuchtet. Clara Schüssler analysiert anschließend die toxische Liaison von Kapitalismus und Demokratie, während Johanna Marie Schule aus aktuellem Anlass argumentiert, dass eine restriktive Migrationspolitik der SPD den Rechtsruck in der Gesellschaft verstärkt. Diesen Artikeln folgen zwei rechtswissenschaftlich fundierte Beiträge: Marian Bartz geht den inneren Spannungen der wehrhaften Demokratie auf den Grund, während Leon Lohrmann und Carl Christoph Möller aufzeigen, warum Kriminalpolitik für autoritäre Kräfte attraktiv ist. Auch feministische Perspektiven dürfen in dieser Ausgabe und zu diesem Thema nicht fehlen: Im Interview mit Laura Loew berichtet das Bündnis Feminism Unlimited über den Umgang mit der autoritären Gefahr in ihrer Arbeit. Dem Zusammenhang von Antigenderismus und autoritären Bestrebungen geht Heleen Matton nach. Nachdem Leon Karas sich der Renaissance autoritärer «Roter Gruppen» und Alexander Neuber sich dem ökologischen Autoritarismus widmet, runden zwei Beiträge diese Ausgabe ab, die ihren Fokus auf die USA richten: Während Lisa Heidenreich sich mit Tech-Autoritarismus auseinandersetzt, analysiert Moritz Stockmar autoritären Populismus am Beispiel der MAGA-Bewegung in den USA. Auch die Beiträge von Leona Krause, Hendrik Küpper, Lukas Thum und Daryoush Danaii in den anderen Rubriken sind Teil dieser Ausgabe der jungen perspektiven.
- Tocotronic, Denn sie wissen was sie tun, Golden Years (2025)
- Bisky, Jens, und Karsten Malowitz, Der Sozialismus wird moralisch, Soziopolis, 27. Juni 2024. https://www.soziopolis.de/der-sozialismus-wird-moralisch.html.
- Adorno, Theodor W.: Minima Moralia. Reflektionen aus dem beschädigten Leben, Frankfurt am Main 1951, S. 96.
- Adorno, Theodor W. und Horkheimer, Max: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt am Main 1988, S. 196.
- Benjamin, Walter: Über das Mimetische Vermögen, in ders.: Gesammelte Schriften II, Frankfurt am Main 1991, S. 210.
- Adorno/Horkheimer: Dialektik, S. 198.
- Adorno/Horkheimer: Dialektik, S. 198.
- Benjamin: Über das Mimetische Vermögen, S. 206.
- Benjamin, Walter: Über den Begriff der Geschichte, in ders.: Gesammelte Schriften I, Frankfurt am Main 1991, S. 697.