Leistung ohne Prinzip? – Wie das Leistungsprinzip Neoliberalismus und Neue Rechte verbindet

«Leistung muss sich wieder lohnen»1 (CDU-Parteiprogramm) oder «Es gibt kein Recht auf Faulheit»2 (Lars Klingbeil) – politische Rhetorik, die auf eine (Wieder-)Belebung der Leistungsgesellschaft abzielt und Menschen zu stärkeren individuellen Anstrengungen animieren soll, hat wieder Konjunktur. Interessant ist dabei, dass Leistung, wie nur wenige andere politische Begriffe, im rhetorischen Werkzeugkasten fast aller politischen Parteien und Denkschulen zu finden ist. Die politische Linke führt sie ins Feld, um exorbitant hohe Managergehälter als leistungslose Verdienste zu kritisieren. Gleichzeitig dient sie einer neoliberalen Rhetorik zur Legitimation der kapitalistischen Wirtschaft3 und spaltet die Gesellschaft in Gewinnerinnen und Verliererinnen. Auch die Neue Rechte bezieht sich in ihrer menschenfeindlichen Konzeption einer «Volksgemeinschaft» auf Leistung, wenn beispielsweise Björn Höcke «Volksteile» ausschließt, die «zu schwach oder nicht willens sind».4 Diese breite Anschlussfähigkeit des Begriffs ist aber nur möglich, da ein eindeutiges Verständnis von Leistung kaum vorhanden ist und somit immer auch die Gefahr einer Vereinnahmung des Begriffs besteht. Der vorliegende Beitrag will daher aufklären, indem er zunächst das widersprüchliche Verständnis von Leistung im Neoliberalismus aufzeigt und die gefährliche Nutzung dieses Widerspruchs durch die Neue Rechte thematisiert. Abschließend soll dann diskutiert werden, welche Antwort die politische Linke auf gesellschaftliche Debatten um das Leistungsprinzip geben kann.

Leistung ohne Prinzip? – Der Widerspruch des Neoliberalismus


Üblicherweise setzt man den Ruf nach einer gesteigerten Leistungsbereitschaft und der gesellschaftlichen Durchsetzung des Leistungsprinzips in die Nähe neoliberalen Denkens. Das Leistungsprinzip, welches je nach individuellem Bemühen knappe Ressourcen wie Macht, gesellschaftliche Positionen oder Güter verteilt,5 lässt sich scheinbar gut mit einer kapitalistischen Erzählung verbinden. Bildhaft wird das am altbekannten (nicht nur) amerikanischen Traum – «vom Tellerwäscher zum Millionär» –, wenn nur die individuelle Leistung stimmt, könne jedes Gesellschaftsmitglied mit einer angemessenen Belohnung der eigenen Bemühungen rechnen. Dass dieser Mythos nicht haltbar ist und es wohl auch nie war, zeigt die gesellschaftliche Realität tagtäglich und soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Interessant ist aber, dass die wohl bekanntesten Vordenker des Neoliberalismus nicht einmal selbst an diese Geschichte glaubten: Friedrich August von Hayek und Milton Friedman standen dem Leistungsprinzip vielmehr äußerst kritisch gegenüber. Für Hayek schwebt Leistung viel zu nah an moralischen Begriffen wie Gerechtigkeit oder Verdienst;6 auch Friedman lehnt den Begriff ab und gibt sogar offen zu: «Die meisten Unterschiede an Status und Wohlstand können letztlich als Folge des Zufalls ausgelegt werden».7 Die beiden wären aber keine neoliberalen Denker, wenn sie dafür nicht einen passenden Alternativvorschlag hätten: den Markt als Prinzip. Anders als ein mit Moral aufgeladenes Leistungsprinzip, über welches im schlimmsten Fall auch noch Forderungen nach Umverteilung gestellt werden könnten, würde der Markt eine «objektive» Bewertung vornehmen, die frei von jedweder Moral sei. Denn der Markt handle nach Hayek auf Basis einer nicht berechenbaren Dynamik, die durch menschliche Bewertungen und Analysen nicht zu greifen wäre und folglich Fragen der Moral enthoben sei.8 Doch warum verbinden wir heute Debatten um Leistung häufig gerade mit einem von Denkern entworfenen kapitalistischen Markt, die sich gegen ein Leistungsprinzip wehrten? Antwort: Weil Hayek und Friedman am Ende trotz aller Ablehnung nicht auf die gesellschaftliche Wirkmächtigkeit des Prinzips verzichten konnten (oder wollten). Explizit macht das Hayek: Die Vorstellungen des Leistungsprinzips seien zwar «zum großen Teil falsch»,9 aber eignen sich aufgrund der hohen Unterstützung für das Prinzip in der Bevölkerung ideal dafür, die kapitalistische Marktgesellschaft zu legitimeren. Das ist ein starkes Stück. Gesellschaftliche Leistungsnarrative werden unterstützt und befeuert, wenn dadurch die Leistung der Individuen maximiert werden kann. Fordern diese Individuen aber dann eine gerechte Entlohnung dieser Leistung, wird auf das Marktprinzip verwiesen, da das Leistungsprinzip moralisch zu stark aufgeladen sei. Anders gesprochen könnte man auch sagen: Die neoliberalen Denker fordern Leistung ohne Prinzip. Das ist der Widerspruch des neoliberalen Leistungsverständnisses – es werden Versprechen gemacht, die von Beginn an nicht zu halten sind. Diese gebrochenen Versprechen machen aber eine Lücke auf, die Unmut und das Gefühl von Ungerechtigkeit hinterlassen.

Ein gefährlicher Lückenschluss – Leistung bei der Neuen Rechten


Die Neue Rechte nutzt genau diese angelegte Legitimationslücke im neoliberalen Verständnis des Leistungsprinzips für ihre Zwecke: Exemplarisch lässt sich dieser Prozess vor allem beim ehemaligen SPD-Politiker Thilo Sarrazin erkennen, der mittlerweile als Figur im Umkreis der Neuen Rechten angesehen werden kann. Insbesondere mit dem 2010 erschienenes Werk Deutschland schafft sich ab und der daran anschließenden «Sarazzin-Debatte» verhalf er den Diskursen der Neuen Rechten in Form eines «Türöffners»10 zu großer medialer Rezeption. Sarrazin nahm den berechtigten Unmut über die gebrochenen Versprechen des neoliberalen Leistungsverständnisses auf – er widmet der Frage von Leistungsbereitschaft sogar ein ganzes Kapitel. Doch anstatt auf Kritikpunkte hinzuweisen, treibt er die neoliberale Argumentation, verbunden mit menschenfeindlichem Rassismus und einer «offene[n] Diskriminierung von sozial Schwachen»,11 auf die Spitze. Während Hayek und Friedman trotz ihrer bewussten Inkaufnahme eigentlich um die Unvereinbarkeit von Leistungs- und Marktprinzip wussten, setzt Sarrazin beides schlichtweg gleich: «Der Markt lebt von dem einfachen Zusammenhang, dass der der etwas bekommen will, das andere Arbeit und Mühe gekostet hat, dafür etwas geben muss, das ebenfalls Arbeit und Mühe kostet, wenn es dem anderen etwas wert sein soll».12 Hier wird in schon schmerzhafter Schematisierung der Markt als ein simpler Austauschprozess verkauft, welcher natürlich individuelle Leistung in Form von «Arbeit und Mühe» belohne. Vor dem Hintergrund dieser Gleichsetzung überrascht es auch nicht, dass Sarrazin, anders als die neoliberalen Denker, simultan als Unterstützer des freien Marktes und Verteidiger des Leistungsprinzips auftreten kann. Sarrazin setzt, metaphorisch gesprochen, den Schlussstein in die bereits von Hayek und Friedman begonnene Argumentationsstruktur, die Leistungs- und Marktprinzip gleichsetzt. Am Verständnis des Leistungsprinzips lässt sich hier ein, zunächst überraschender, Zusammenhang zwischen dem Neoliberalismus und der (sich auf Sarrazin berufenden) Neuen Rechten herstellen. Ist das Leistungsprinzip einmal in das Denken der Neuen Rechten eingeführt, so lassen sich mit Berufung auf dieses unzählige menschenfeindliche Zuschreibungen tätigen. Sarazzin spricht von einem «traditionelle[n] deutsche[n] Fleiß»,13 den andere «Völker» nicht vorweisen könnten und nutzt somit das Leistungsprinzip gezielt rassistisch-biologistisch. Auch arbeitssuchende Menschen diskriminiert er und fordert einen «Arbeitszwang», der in seinem Verständnis «wohltätige Wirkungen»14 erzeuge. Björn Höcke hingegen verabschiedet sich zwar von einer kapitalistischen Marktrhetorik, fordert aber auch in Anlehnung an die von Altkanzler Gerhard Schröder geprägte Losung des «Forderns und Förderns» eine «fordernde und fördernde politische Elite»,15 welche die «Volksgeister» zu neuem Leben erwecken solle. Klar bleibt bei dieser Betrachtung: Noch weniger als im neoliberalen Verständnis hat die Interpretation des Leistungsprinzips durch die Neue Rechte tatsächlich nur ansatzweise etwas mit einem kohärenten Verständnis zu tun. Viel angebrachter wäre es, dies als Taschenspielertrick zu bezeichnen: Es wird ein Leistungsprinzip proklamiert, ohne für dieses tatsächliche Leistung der Individuen abzuverlangen – platt gesprochen sieht die Neue Rechte die wichtigste Leistung wohl in der für sie als «deutsch» verstandenen Abstammung. Die Neue Rechte vertritt somit ein Leistungsprinzip, ohne tatsächlich Leistung in einem individuellen Verständnis abzuverlangen und zu bewerten. Diese theoretische Auseinandersetzung wird dann konkret und gefährlich, wenn es beispielsweise der Thüringer AfD zur Landtagswahl 2024 gelang, sich selbst als scheinbare «Leistungsträger» begreifende Wähler*innen gegen gesellschaftliche Minderheiten und demokratische Werte auszuspielen.16

Ein Recht auf Faulheit? – Leistung und die politische Linke


Welche Rolle kommt nun aber einer politischen Linken zu, die sich wohl gegen eine inhärent ungerechte kapitalistische Wirtschaftsweise, als auch gegen eine menschenfeindliche Neue Rechte zu richten hat? Es gilt zunächst, was sie nicht tun sollte: Wie SPD-Chef Lars Klingbeil einen weiteren ursprünglich von Gerhard Schröder geprägten Satz – «Es gibt kein Recht auf Faulheit» – zur Disziplinierung von Bürgergeldempfänger*innen zu nutzen, kann kein linker Umgang mit dem Leistungsprinzip sein. Vielmehr sollte es zunächst Bestandteil linker Theorie und Praxis sein, immer wieder auf die Widersprüchlichkeiten und offenen Fehler in der neoliberalen und neurechten Argumentation aufmerksam zu machen. Beide Denkschulen verweisen zwar an der Oberfläche auf ein Leistungsprinzip, der Neoliberalismus bleibt jedoch in einer leeren Forderung nach Leistung ohne jedwedes Prinzip der Entlohnung stecken, während es der Neuen Rechten vor lauter Rassismus und Menschenfeindlichkeit schlicht nicht um Leistung geht. Gelingt es der politischen Linken, diese falschen Versprechen und Taschenspielertricks zu entlarven, so kann sie über ihr eigenes Verhältnis zur Leistung nachdenken. Es gibt gute Gründe dafür, mit dem französischen Sozialisten Paul Lafargue ein «Recht auf Faulheit»17 zu postulieren und sich dem Diskurs der Leistungsgesellschaft vollends zu entziehen. Gleichzeitig stimmen auch in den letzten Jahren weiterhin knapp 80% der Deutschen dem Leistungsprinzip zu.18 Vielleicht ist es gerade deshalb geboten, der Leistung wieder stärker einen linken, emanzipatorischen Charakter zu verleihen. Wenn Hayek und Friedman Sorge vor einer zu engen Verbindung von Leistung mit moralischen Konzepten wie der Gerechtigkeit hatten, wieso nicht exakt diese Verbindungen stärken? Denn eine tatsächlich auf gerechter Leistungs- und Lastenverteilung aufgebaute Gesellschaft sähe ganz anders aus als die heutige, die sich zwar bei jeder Gelegenheit als Leistungsgesellschaft schmückt und legitimiert, diesem Anspruch aber nicht gerecht wird.

  1. https://bit.ly/44ko9sW (20.04.2025).
  2. https://bit.ly/4k2wk1N (20.04.2025).
  3. Steffen Hillmert: «Leistung, Leistungsgerechtigkeit und Meritokratie». In: Petra Böhnke / Dirk Konietza (Hrsg.): Handbuch Sozialstrukturanalyse. Wiesbaden 2024.
  4. Björn Höcke: Nie zweimal in denselben Fluß. Lüdingshausen / Berlin 2018, S. 257.
  5. Vera Braun: Der Zusammenhang zwischen Meritokratie und beruflicher Bildung. Wiesbaden 2022, S. 19.
  6. Friedrich August von Hayek: Die Verfassung der Freiheit. Tübingen 1991, S. 113.
  7. Milton Friedman: Kapitalismus und Freiheit. München 2009, S. 197.
  8. Thomas Biebricher: Neoliberalismus zur Einführung. Hamburg 2022, S. 58–63.
  9. Hayek, S. 102.
  10. Thomas Wagner: Die Angstmacher: 1968 und die Neuen Rechten. Berlin 2017, S. 154–162.
  11. Hannah Schultes / Siegfried Jäger: «Rassismus inklusive – das ökonomische Prinzip bei Thilo Sarrazin». In: Thorsten Gerald Schneiders (Hrsg.): Verhärtete Fronten. Wiesbaden 2012, S. 113.
  12. Thilo Sarrazin: Deutschland schafft sich ab. München 2010, S. 152.
  13. Sarrazin, S. 13.
  14. Sarrazin, S. 183.
  15. Höcke, S. 286.
  16. https://bit.ly/44liWBi (20.04.2025).
  17. Paul Lafargue: Recht auf Faulheit. Frankfurt am Main 2006.
  18. Jule Adriaans / Philipp Eisnecker / Stefan Liebig: «Gerechtigkeit im europäischen Vergleich: Verteilung nach Bedarf und Leistung in Deutschland besonders befürwortet». In: Pio Baake et. al. (Hrsg.): DIW Wochenbericht 45/19. Berlin 2019, S. 822–823.