‹Repeal the 19th?› – Antigenderismus und Autoritarismus

Chorus (men)
The women are the pawns of those Spartan dogs.
They have betrayed us and for no cause.
Without sex what will happen to our great State?
Democracy will end if we can’t copulate.

Leader (men)
If we let the women get away with this, there will be no end to it! They’ll build their own navies. Or worse, they’re form their own cavalry, and, as you all know, they have an unfair advantage there. Women’s behinds just fit on horses better. Soon there will be thousands of them, running us all down on horseback, like Amazons! We have to stop them now, while we have the chance. – Chorus 2 in Lysistrata, Aristophanes, 411 v. Chr.1


Wer diesen Klassiker des antiken Theaters nicht kennt: Im Jahr 411 v. Chr. stellte sich Aristophanes in seiner Komödie Lysistrata eine ungewöhnliche Form des politischen Widerstands vor: Um den Peloponnesischen Krieg zwischen Athen und Sparta zu beenden, rufen die Frauen beider Städte einen kollektiven Sexstreik aus. Angeführt von der Athenerin Lysistrata, verweigern sie allen Ehemännern und Liebhabern sexuelle Beziehungen – solange, bis diese Frieden schließen. In Lysistrata entpuppt sich der Streik als erfolgreiche Strategie. Schon in der dritten Szene besetzen die Frauen die Akropolis. Was Aristophanes als satirische Übertreibung inszenierte, berührt eine Frage, die im Zentrum aktueller Debatten über autoritäre Entwicklungen liegt: Was geschieht, wenn Frauen sich den ihnen zugeschriebenen Rollen und Aufgaben verweigern? Auch heute begegnet dem Widerstand gegen herrschende Geschlechternormen Spott, Abwehr und zunehmend erfolgreiche autoritäre Gegenmobilisierung. Aus der antiken Satire ist längst ein postmoderner Ernstfall geworden.

Der globale Aufstieg autoritärer Bewegungen folgt einem klaren Muster: Er richtet sich gezielt gegen Gleichstellung, sexuelle Selbstbestimmung und feministische Errungenschaften. Ein erschreckender Beleg dafür war die rhetorische Eskalation rund um die Wiederwahl Donald Trumps am 5. November 2024. Am Wahltag war ein deutlicher Anstieg frauenfeindlicher Hetze auf Social-Media-Plattformen verzeichnet worden, in der von tausenden Nutzer*innen Ausdrücke wie «get back in the kitchen», «repeal the 19th»2 oder «Your body, my choice. Forever.»3 gepostet wurden.

Diese Wahl reiht sich ein in eine Serie autoritärer Vorstöße, in denen Geschlecht nicht am Rand, sondern im Zentrum politischer Mobilisierung steht – und die sich durch eine klare Systematik auszeichnen. Um diese zu beschreiben, braucht es einen Begriff, der zunächst sperrig wirkt, aber analytisch notwendig ist, um die aktuellen Entwicklungen zu verstehen: den Antigenderismus

Was kennzeichnet Antigenderismus?

Antigenderismus bezeichnet nicht bloß traditionellen Antifeminismus, sondern eine gezielte politische Mobilisierung gegen geschlechterpolitische Fortschritte, die ursprünglich aus einer katholischen Gegenstrategie hervorgegangen ist. Der Begriff «Gender-Ideologie» wurde erstmals im Jahr 2000 in einem Dokument des Päpstlichen Rates für die Familie verwendet und diente dazu, feministische, LGBTQ+-freundliche sowie geschlechterkritische Diskurse als marxistische oder strukturalistische Bedrohung der traditionellen Familie zu diskreditieren. Der Ursprung dieser Strategie lässt sich auf die UN-Konferenzen von Kairo (1994) und Peking (1995) zurückführen, bei denen die Anerkennung sexueller und reproduktiver Rechte innerhalb des UN-Rechtssystems im Vordergrund stand. Der UN-Diskurs um Gender wurde vom Vatikan als strategisches Mittel zum Angriff und zur Destabilisierung der natürlichen Familie verstanden.4 In den Worten des ehemaligen Priesters Tony Anatrella:5 «E dopo Marx venne il gender»6 – Und nach Marx kam Gender.

Die Rhetorik der sogenannten ‹Gender-Ideologie› hat sich seither weit verbreitet – und zeigt politische Wirkung auf globaler Ebene. So trat etwa die Türkei aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauenrechten aus, Russland erließ eine Reihe restriktiver Gesetze, darunter jüngst eines gegen die ‹Werbung für Kinderlosigkeit›, und die inzwischen abgewählte PiS-Regierung in Polen verschärfte seine Repression gegen queere Lebensrealitäten. Trotz ihrer geografischen und politischen Unterschiede folgen diese Beispiele einer gemeinsamen Logik: ‹Gender› wird zum Symbol für den moralischen und gesellschaftlichen Verfall der liberalen Welt stilisiert – und dient damit als zentrales Feindbild autoritärer Politik.

Dieser moderne Antifeminismus ist also kein konservatives Rückzugsgefecht, sondern ein zentrales Werkzeug autoritärer Projekte. Er dient weltweit nicht nur zur Mobilisierung gegen feministische, queere oder wissenschaftliche Dekonstruktionen von Geschlecht – sondern auch zur Legitimation des systematischen Rückbaus liberal-demokratischer Institutionen. Doch wieso werden ausgerechnet geschlechterpolitische Themen zur Sprengkraft für liberale Gesellschaften?

Geschlechterpolitische Themen und gegenhegemoniale Mobilisierung


Die Verständnisse von Geschlecht und Geschlechterverhältnissen, die autoritäre Narrative befeuern, sind alles andere als neu. Sie knüpfen an tief verwurzelte, weiterhin wirksame patriarchale Ordnungsvorstellungen an. Themen wie Geschlechterverhältnisse, Rollenbilder, Sexualität oder Reproduktion sind daher besonders geeignet, um in liberalen Gesellschaften politische Mobilisierung zu erzeugen. Birgit Sauer bringt es treffend auf den Punkt: «Geschlecht eignet sich deshalb so gut für eine gegenhegemoniale Mobilisierung, weil mit dem Bezug auf Geschlecht an Alltagserfahrungen angeknüpft werden kann – an die lang tradierte vermeintlich natürliche hierarchische Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität, die durch Gleichstellungspolitik und Antidiskriminierungsrichtlinien zwar erschüttert, aber keineswegs erodiert sind, sondern noch immer die Lebensweise und den Habitus der Menschen prägten. […] Patriarchale Ordnungsvorstellungen sind somit, trotz liberaler Errungenschaften, keine überwundene, sondern eine weiterhin strukturgebende Gesellschaftsvorstellung».7


Die autoritären Projekte der Gegenwart docken genau an diese bestehenden Gesellschaftsbilder an. Geschlecht wirkt hier wie eine Brücke: Es verbindet die Versprechen des Autoritarismus mit den alltäglichen Erfahrungen bestehender Herrschaftsverhältnisse. Eine autoritäre Transformation erscheint dadurch weniger wie ein Bruch mit der Moderne als vielmehr wie deren Fortsetzung – als Bewahrung traditioneller Ordnung in einer sich wandelnden Welt. Bestehende Rollenbilder patriarchaler Familienmodelle, die durch die Dynamiken postmoderner Gesellschaften herausgefordert werden, finden in dieser Erzählung Bestätigung und Schutz. Oder anders gesagt: «[Y]ou can save the world by being a good parent, by loving your wife or husband and by opposing the forces of corruption.»8


Indem autoritäre Projekte anhand des Antigenderismus konservative (und neoliberale) politische Grundannahmen über die Zentralität der heteronormativen Familie aufgreifen und diese Annahmen dabei als durch einen aus den Fugen geratenen Liberalismus existentiell bedroht darstellen, mobilisieren sie in liberalen Gesellschaften für eine autoritäre Transformation der politischen Ordnung. Insofern ist Antigenderismus nicht irgendeine, sondern eine auf liberale Gesellschaften zugeschnittene Mobilisierungsstrategie.

Doch wie in Lysistrata zeigt sich auch heute Widerstand: Besonders deutlich wird dies im Fall der polnischen Frauenproteste gegen das Abtreibungsverbot. Diese gehören zu den größten und am besten organisierten Protestbewegungen während der PiS-Regierungen. Nicht nur die Angriffe auf die Demokratie, sondern auch ihre Verteidigung ist geschlechtspolitisch geprägt.9 Seit der US-Wahl sind auch antike Taktiken wieder in Mode. In den USA protestieren Frauen unter dem Motto der südkoreanischen 4B-Bewegung – bihon, bichulsan, biyeonae, bisekseu – keine Ehe, keine Kinder, keine Beziehungen, kein Sex.

  1. In Übersetzung nach Einhorn, E. (2015). Lysistrata. http://www.lysistratascript.com/script/chorus-5.html.
  2. Gemeint ist damit der Entzug des Wahlrechts für Frauen, das im 19. Zusatzartikel der Verfassung der USA verankert ist.
  3. Siehe Frances-Wright, I. & Ayad, M. (2024). «Your body, my choice:» Hate and harassment towards women spreads online, in: Institute for Strategic Dialogue [8. November 2024]. https://www.isdglobal.org/digital_dispatches/your-body-my-choice-hate-and-harassment-towards-women-spreads-online/.
  4. Siehe Roth, J. & Sauer, B. (2022). Worldwide Anti-Gender Mobilization: Right-wing Contestations
    of Women’s and Gender Rights, in: Scheele, A/Roth, J./Winkel, . (Hrsg.), Global Contestations of Gender Rights: 99–114. Bielefeld University Press. doi:10.1515/9783839460696-006.
  5. Tony Anatrella ist ein ehemaliger katholischer Priester und Psychoanalytiker aus Frankreich, dessen Schriften sich auf die «Gender Ideologie» beziehen. Er ist für seine Positionen gegen die gleichgeschlechtliche Ehe bekannt und war u.a. Berater im Päpstlichen Rat für die Familie (Le Monde, 2017). Anatrella wurde im Jahr 2018 des Amtes enthoben, nachdem bereits 2008 mehrere Missbrauchsvorwürfe gegen ihn bekannt wurden.
  6. Anatrella, T. (2011). LA PROVOCAZIONE. E dopo Marx venne il «gender», in: Avenire [14. Oktober 2011]. https:/ /www.avvenire.it/agora/pagine/dopo-marx-venne-il-gender.
  7. Sauer, B. (2019). Anti-feministische Mobilisierung in Europa. Kampf um eine neue politische Hegemonie?, in: Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft, 13(3): 339–352, S. 348.
  8. Graff, A. & Korolczuk, E. (2021). Anti-Gender Politics in the Populist Moment. (1st ed.). London: Routledge., S. 167.
  9. Kriszan und Roggeband, 2019.