Woran denkt man bei «ökologischem Aktivismus»? Sicherlich an «Fridays for Future» oder «Die Letzte Generation»; geht man etwas weiter zurück, dann wohl an die Anti-Atomkraft-Bewegung. Trotz aller Unterschiede eint diese Gruppen meist eines: Sie lassen sich dem links-progressiven Spektrum der Bundesrepublik zuordnen.
Dies erscheint auf den ersten Blick zwar logisch. Schließlich steht in ihren Forderungen oft ein harmonisches Verhältnis von Mensch und Natur im Mittelpunkt, das auf einem positiven – oder zumindest neutralen – Menschenbild basiert. Und letzteres ist dem rechten politischen Spektrum in der Regel eher fremd.
Umso überraschender ist es aber, wenn man feststellt: Ökologische Gedanken lassen sich auch mit einem ganz anderen Menschenbild verbinden – einem ausgrenzenden, hierarchisierenden, autoritären. Und genau dieser Bruch öffnet den Blick auf eine politische Strömung, die lange unter dem Radar blieb – und doch zunehmend an Bedeutung gewinnen könnte.
Malthusianismus und sein Erbe
Ein Blick zurück zeigt: Die ideologische Verbindung von Natur und Ordnung, von Kontrolle und Umwelt, ist keineswegs neu. Einer der ersten, der dieses Verhältnis formulierte, war der britische Ökonom Thomas Malthus im frühen 19. Jahrhundert. Seine These in Das Bevölkerungsgesetz: Während die Bevölkerung exponentiell wachse, nehme die Nahrungsmittelproduktion nur linear zu.1 Aus dieser Ungleichung folgerte Malthus mit drastischer Klarheit, dass es zwangsläufig zu gesellschaftlichen Krisen kommen müsse – zu Hunger, Elend, Krieg.2
Doch Malthus’ Ansatz war mehr als eine nüchterne Bevölkerungsformel. Er verband seine Analyse mit einer moralischen Wertung: Ausgerechnet die «minderwertigen» Menschen – Arme, Andersgläubige, sozial Deklassierte – seien das Problem. Sie würden sich zu häufig fortpflanzen und damit das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur gefährden. Seine Antwort war simpel wie beunruhigend: Die Zahl der Menschen müsse reduziert werden – oder zumindest die der «falschen» Menschen.3
Dieses Denken wurde 1968 vom US-amerikanischen Biologen Paul R. Ehrlich in seinem Buch The Population Bomb neu aufgelegt. Ehrlich warnte vor globalen Hungersnöten in den kommenden Jahrzehnten – und wieder war die vorgeschlagene Lösung: Bevölkerungskontrolle, vor allem dort, wo Menschen als arm, bildungsfern oder «zu viele » galten.4 Auch hier verband sich ökologische Sorge mit autoritärem Denken – und mit selektiven Vorstellungen davon, wessen Leben als lebenswert gilt.5
Bis heute hat sich die Vorstellung gehalten, es gäbe zu viele Menschen – aber selten wird gefragt: welche? Wer genau gilt als «zu viel»? Und wer trifft diese Entscheidungen?
Das Neuaufleben des (Neo-)Malthusianismus durch Paul Ehrlich war insoweit überraschend, dass ähnliche Vorstellungen einige Jahrzehnte im Nationalsozialismus von grundlegender Bedeutung waren. Nur eben mit anderen Begriffen. Der Weg von einer selektiven Bevölkerungskontrolle zu «Blut und Boden», also der ideologischen Leitlinie des Nationalsozialismus,6 ist nicht allzu weit. Naturschutz diente in letzterer Vorstellung nicht dem Schutz des Gemeinsamen, sondern der Abgrenzung, der Kontrolle, der Reproduktion einer idealisierten, elitären Volksgemeinschaft.
Die Kehre als Keimzelle einer rechtsautoritären Ökologie
Was im frühen 20. Jahrhundert offen rassistisch und biologistisch formuliert wurde, kehrt heute in subtileren Formen zurück. Oft getarnt als kulturelle, konservative oder sogar wissenschaftliche Kritik am gegenwärtigen Klimadiskurs. Besonders deutlich zeigt sich das im Magazin Die Kehre.7 Seit seiner ersten Ausgabe im Jahr 2020 versteht es sich als Plattform für eine sogenannte «ganzheitliche Ökologie»,8 wobei auch «konservative Ökologie»9 mitunter verwendet wird. Passender wäre der Begriff der rechtsautoritären Ökologie.
Schon in der Erstausgabe wird die strategische Ausrichtung klar. Ökologisch wachstumskritische Positionen werden mit einem autoritären Bild menschlicher Zusammenarbeit verknüpft. Dabei dient der Klimadiskurs – insbesondere die Frage nach CO₂ – als ideologisches Einfallstor.
Es wird eine angebliche «Verengung» des Ökologiebegriffs auf klimapolitische Fragen kritisiert.10 Was zunächst integrativ klingt, offenbart bei näherem Hinsehen eine gezielte argumentative Verschiebung: Weg von wissenschaftlich fundierter Klimaforschung – hin zu einer Diskussion, in der die Leugnung des menschengemachten Klimawandels als legitime Position erscheint.
Ein eklatantes Beispiel ist bereits in der ersten Ausgabe zu finden: «Die menschengemachten CO₂-Emissionen sind wahrscheinlich nicht die Ursache [für die Erhitzung der Erde]».11 Der Fokus wird dabei meist von der konkreten Frage der Emissionen auf die abstraktere Kritik der Wachstumsgesellschaft gelenkt. Mit Begriffen wie «Wachstumsunabhängigkeit» und «Niedrigenergieverbrauch» – alternativ auch «Lowtech-Ansatz» – werden dann Skizzierungen der selbsternannten ganzheitlichen Ökologie vorgenommen.12
Es wird eine falsche Ausgewogenheit inszeniert. So, als gäbe es zwei gleichberechtigte wissenschaftliche Lager: Auf der einen Seite eine vermeintlich quasi-religiöse Fraktion, die CO2 als klimarelevant einstuft. Auf der anderen Seite jene, die – wie Die Kehre – eine andere Gesellschaftsform wünschen, wo klimapolitische Frage keine Rolle mehr spielen würden.
Das ist kein wissenschaftlicher Pluralismus. Es ist False Balancing, also eine gezielte Zersetzung des Diskurses. Eine autoritäre Kommunikationsstrategie, die darauf abzielt, das Vertrauen in wissenschaftliche Standards zu untergraben und alternative Wirklichkeiten zu etablieren.
Der Mensch wird dabei nicht als wandelbares, global vernetztes Wesen verstanden. Sondern als ortsgebundenes, «substanzielles»13 Kulturwesen, das seine Umwelt nicht verändern, sondern bewahren soll. Und zwar in ihrer nationalen, ethnischen und traditionellen Ordnung. Das Naturverständnis wird so zum Menschenbild – und dieses wiederum zur politischen Ideologie.
Immer wieder zeigt sich: Die Kehre steckt in einer ideologischen Zwickmühle. Einerseits müssen Anschlussmöglichkeiten an ein ökologisches Weltbild hergestellt werden. Nicht zuletzt deshalb werden – auch im weitesten Sinne – progressive Vertreter der ökologischen Bewegung als Referenzpunkte herangezogen. Gerade in Bezug auf Themen wie Wachstumsunabhängigkeit oder Ressourcenbegrenzung stammen die zitierten Werke mitunter von im progressiven Lager anschlussfähigen Autoren.14
Diese Bezugnahmen wirken zunächst widersprüchlich. Denn der Grundtenor des Magazins folgt einer ganz anderen Linie. Auf der anderen Seite nämlich wird ein autoritäres Gesellschaftsbild propagiert, das weit über klassische rechtskonservative Positionen hinausgeht. Die Kehre sucht hier eine eigene Nische: zwischen einer Ablehnung des als «links-progressiv» markierten Klimadiskurses und einer bewussten Abgrenzung vom status-quo-orientierten Konservatismus. Letzterer wird in Abgrenzung an das eigene Bild von Konservatismus als «neokonservativ»15 bezeichnet.
Dieser Spagat zeigt sich nicht nur in der Auswahl der Themen, sondern auch in inhaltlichen Brüchen, die das Gesamtbild inkonsistent wirken lassen. Damit die angestrebte Neudefinition des Ökologiebegriffs überhaupt gelingen kann, muss der bisherige Begriff zunächst diskreditiert werden – als angebliches Instrument zur Fortschreibung kapitalistischer Interessen.
So wird linken ökologischen Ansätzen und ihren Vertreter:innen unterstellt, sie würden ein «grünes Wachstum» propagieren.16 Dabei findet kaum eine differenzierte Auseinandersetzung mit den verschiedenen progressiven Strömungen innerhalb der Umweltbewegung statt. Und wenn eine Differenzierung erfolgt, dann meist mit dem Ziel zu zeigen, dass die «richtigen» Vertreter:innen einer «wahren» Ökologie sich ohnehin zu einer heimatverbundenen, kulturgebundenen Variante weiterentwickelt hätten.17
Besonders aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Entwicklung des Autors Michael Beleites. Einst Umweltaktivist in der DDR, später Berater der Grünen18 – heute einer der führenden Köpfe einer autoritär gewendeten Ökologie, in der Natur nicht als gemeinsames Gut, sondern als identitäres Schutzobjekt verstanden wird. In seinen Schriften lassen sich klare Anhaltspunkte – oder zumindest Überschneidungen – zu autoritären Denkfiguren finden.
Gerade das in vorherigen Abschnitten angesprochene Thema des Bevölkerungswachstums erhält bei Beleites eine neue ideologische Aufladung. Die ursprünglich ökologische Frage nach globaler Tragfähigkeit wird hier zunehmend autoritär umgedeutet – nicht als Aufruf zu sozialer Gerechtigkeit oder Umverteilung, sondern als Mahnung zur Kontrolle und Begrenzung. Der Fokus verschiebt sich von «Wem fehlt was?» zu «Wer ist zu viel?» – und genau darin liegt die politische Sprengkraft einer ökologischen Rhetorik, die mit autoritärem Menschenbild arbeitet.
Nur Symbolik oder echte Gefahr?
Nach dieser inhaltlichen Auseinandersetzung mit Die Kehre stellt sich berechtigterweise die Frage: Wie wirkmächtig ist die Zeitschrift innerhalb des rechtsautoritären Spektrums?
Zumindest ein Teil der Antwort auf diese Frage findet sich in einem Facebook-Beitrag aus dem Jahr 2020 von Björn Höcke. Dort schreibt er, dass er alle Artikel mit Zustimmung gelesen habe – und dass sie attraktive Visionen für einen wirklichen Naturschutz enthielten. Auch die hier angesprochenen Aspekte von völkischer Kapitalismuskritik und der Neudefinition eines vermeintlich «ganzheitlichen Ökologiebegriffs» werden von dem Faschisten Höcke zustimmend hervorgehoben.19
Inwieweit das Magazin darüber hinaus eine breitere Wirkmächtigkeit entfaltet hat, lässt sich allerdings schwer beurteilen. Zwar gibt es personelle und inhaltliche Überschneidungen zwischen den dortigen Autor:innen und anderen neurechten Kreisen – etwa dem mittlerweile aufgelösten Institut für Staatspolitik oder dem Oikos Verlag, bei dem Die Kehre erscheint.20
Doch im breiteren Diskurs der Neuen Rechten scheint Die Kehre und der dort vertretene Ökologiebegriff bislang eine eher untergeordnete Rolle zu spielen.21 Die symbolische Besetzung von Naturschutz und Ökologie durch links-progressive Akteur:innen scheint stärker – oder: Die Ablehnung gegenüber diesen Gruppen ist größer als das Bedürfnis nach einer eigenen, zeitnahen Neubesetzung oder Reinterpretation dieser Themenfelder.
Dennoch darf man die Gefahr eines rechtsautoritären Ökologiebegriffs, wie er innerhalb völkischer Ansätze formuliert wird, nicht unterschätzen. Dies käme einer fahrlässigen Verharmlosung gleich. Das können und sollten wir uns in Anbetracht der allgemeinen Erstarkungen rechtsautoritärer Kräfte nicht leisten.
Auch wenn Die Kehre derzeit nur einen kleinen Kreis von Leser:innen erreicht, steht sie exemplarisch für eine politische Ideologie, die Ökologie nicht als gemeinschaftliches Projekt, sondern als Mittel der sozialen Auslese und kulturellen Abgrenzung versteht. Ihre tatsächliche Reichweite ist begrenzt – ihre Anschlussfähigkeit hingegen nicht. Hier lässt sich beispielhaft auf die ökoesoterische Anastasia-Bewegung verweisen, welche mittlerweile vom Verfassungsschutz als rechtextremer Verdachtsfall geführt wird.22
Das, was heute in rechten Nischenmedien wie Die Kehre formuliert wird, kann morgen in größerem Maßstab diskursfähig sein: als Teil einer biopolitischen Ordnung, in der Natur zur Legitimation autoritärer Eingriffe dient. Gerade weil der Begriff «Ökologie» so offen ist, bleibt er formbar – und damit politisch verfügbar. Bewusst wurde in diesem Beitrag auf eine genaue progressive Lesart des Begriffs verzichtet, um genau diese Ambivalenz aufzuzeigen.
Es wäre also fahrlässig, rechtsautoritäre Ökologie als bloße Randerscheinung abzutun. Nicht ihre aktuelle Reichweite ist entscheidend, sondern ihr ideologisches Potenzial: Sie bringt Ordnungsvorstellungen hervor, die in Krisenzeiten auf fruchtbaren Boden fallen könnten. Und genau deshalb muss man ihr frühzeitig entgegentreten.
- Robert Malthus: Das Bevölkerungsgesetz. München 1977, S. 19.
- Malthus, S. 68.
- Malthus, S. 68.
- Paul R. Ehrlich: The Population Bomb. New York 1986, S. 147.
- Leon Holly: «Make Ökos rechts again?». In: taz, 19.4.2024.
- Marie-Luise Heuser: «Was grün begann endete blutigrot», in: Dieter Hassenpflug (Hrsg.): Industrialismus und Ökoromantik – Geschichte und Perspektive der Ökologisierung, Wiesbaden, 1991, S. 52.
- https://oikos-verlag.de/Die-Kehre/ (26.4.2025). Ein besonderer Dank an Leon Holly, welcher in der Recherche der Ausgaben sehr behilflich war.
- Jonas Schick: «Editorial». In: Die Kehre 1, 2020.
- Bruno Wolters: «Verzicht – Anker einer konservativen Ökologie». In: Die Kehre 13, 2023.
- Schick 2020, S. 1; Michael Beleites: «Die menschengemachte Überhitzung». In: Die Kehre 1, 2020.
- Beleites 2020, S. 10.
- Beleites 2020, S. 13; Jörg Dittus, «Architektur und Ökologie (1)». In: Die Kehre 1, 2020.
- Jonas Schick: «Editorial». In: Die Kehre 13, 2023.
- Beleites 2020, S. 13; hier wird ein Bezug zu dem Postwachstumsökonomen Niko Paech aufgemacht.
- Michael Beleites: «Ökologie als konservatives Prinzip». In: Die Kehre 13, 2023.
- Beleites 2023, S. 8.
- Erik Lehnert: «Rudolf Bahro – der Ökofaschist? (2)». In: Die Kehre 13, 2023.
- Andreas Speit: «Den Grünen den Naturschutz nehmen». In: taz, 2.6.2020.
- www.facebook.com: https://is.gd/VpaJQd (28.4.2025).
- Speit, S. 1.
- Holly, S.1.
- Sebastian Leber: «Außen öko, innen Hass». In: Tagesspiegel, 31.5.2025.