Oktober 2022, Paris: Colin Kahl, Unterstaatssekretär im Pentagon ist über einen Ausfall der ukrainischen Kommunikationsinfrastruktur informiert worden. Sein erster Anruf geht in die USA, aber nicht etwa an den US-amerikanischen Außenminister oder Präsidenten; der Name auf dem Display: Elon Musk.
Die gegenwärtige Machtkonzentration im Technologiesektor lässt sich nicht mehr nur als ökonomisches oder innovationspolitisches Phänomen beschreiben – sie markiert vielmehr einen Paradigmenwechsel im Verhältnis von Staat, Markt und kritischer Infrastruktur. Exemplarisch hierfür steht Elon Musk: Unternehmer und zugleich zunehmend zum Souverän avanciert, dessen Entscheidungen in geopolitischen Krisenlagen die Handlungsspielräume staatlicher Akteure determinieren. Musks Machtkonzentration ist dabei nicht Ausdruck eines persönlichen Exzesses, sondern ein Symptom eines tieferliegenden techno-autoritären Dispositivs, das neoliberale Marktgläubigkeit, autoritäre Führerprojektionen und eine ideologisch aufgeladene Vorstellung technologischer Erlösung miteinander verknüpft.
Autoritarismus in der postdemokratischen Konfiguration
Wie Ronan Farrow in seiner Reportage dokumentiert, intervenierte Musk eigenmächtig in den Ukraine-Krieg, indem er den Zugang zu seinem Satellitennetzwerk Starlink einschränkte – ein infrastrukturelles Mittel, das für die militärische Kommunikation der ukrainischen Streitkräfte von zentraler Bedeutung ist (2023). Diese Form der Machtausübung entzieht sich demokratischer Kontrolle. Sie basiert auf technischer Monopolisierung zentraler Ressourcen und verschiebt die Souveränität faktisch in die Hände privater Akteure. Eine Pentagon-Quelle konstatierte angesichts dessen: „Wir leben von seinem Wohlwollen“ (Farrow 2023).
Diese Entwicklung verweist auf eine postdemokratische Konfiguration, in der politische Handlungsfähigkeit zunehmend durch privatwirtschaftlich organisierte Interessen ersetzt wird. Musk ist hier nicht nur Akteur, sondern struktureller Ausdruck eines techno-politischen Wandels, bei dem staatliche Exekutivmacht durch nicht-legitimierte, technokapitalistische Einflussnahme substituiert wird.
Die autoritäre Versuchung: die Zukunft ist die schönere Realität
Die Bereitschaft breiter gesellschaftlicher Gruppen, autoritäre Führungsfiguren wie Trump oder Musk zu idealisieren, verweist auf tiefere psychodynamische Dispositionen. Daniel Burston erinnert in seiner Analyse an die Konzeption des autoritären Charakters, wie sie von Wilhelm Reich und später von Adorno et al. entwickelt wurde (2017). Diese Charakterstruktur beruht auf einer Kombination aus autoritätssuchender Unterwürfigkeit und aggressiver Feindseligkeit gegenüber als „fremd“ markierten Gruppen. Sie ist das Produkt repressiver Sozialisation und ökonomischer Unsicherheit – und besonders anschlussfähig in Phasen gesellschaftlicher Desintegration (2017).
In autoritär geprägten Subjekten erzeugt die Erfahrung eines Kontrollverlustes ein Bedürfnis nach klaren Hierarchien und starken Führern. Musk wird in dieser Figur nicht als Unternehmer rezipiert, sondern als Heilsbringer eines säkularisierten Fortschrittsglaubens. Seine Plattform „X“, sein KI-Projekt xAI, seine Raumfahrtvisionen und seine Interventionen in globale Konflikte verschmelzen zu einem techno-messianischen Narrativ. Die Identifikation mit einer solchen Figur stiftet symbolischen Halt und bietet eine Flucht vor der Realität, in eine so vage und glorreich beschriebene Zukunft, dass ihre Ausgestaltung zur Projektionsfläche der individuellen Wünsche werden kann.
Diese affektive Struktur autoritärer Gefolgschaft wird gestützt durch eine ideologische Formation, die Gebru und Torres als „TESCREAL-Bündel“ bezeichnen (2024). Die Akronymisierung verweist auf eine ideologische Kohärenz von Transhumanismus, Extropianismus, Singularitarismus, Rationalismus, Effektivem Altruismus und Longtermismus – eine Allianz, die aus der Tradition der anglo-amerikanischen Eugenik hervorgegangen ist (ebd.). Ihr zentrales Motiv ist die Vorstellung, dass eine kleine Elite durch technische Überlegenheit – insbesondere durch den Bau einer Artificial General Intelligence (AGI) – die Menschheit retten könne. Dies geht einher mit einem autoritären Wahrheitsanspruch, der ethische Fragen technischer Machbarkeit unterordnet. In dieser Konstellation wird die politische Öffentlichkeit nicht mehr als Ort der Deliberation, sondern als Störgröße wahrgenommen.
Die Gefahr dieser Ideologie liegt nicht nur in ihren utopischen Überhöhungen, sondern in ihrer realpolitischen Wirksamkeit. Die zentralen Akteure der AGI-Forschung sind direkt in diesem ideologischen Netzwerk verankert, von der Terminologie bis zur Finanzierung (Gebru und Torres 2024). Die rhetorische Berufung auf „Sicherheit“ und „Menschheitswohl“ verschleiert dabei die eigentliche Dynamik: die Konzentration von Entscheidungsmacht, Ressourcen und normativer Deutungshoheit in den Händen weniger Akteure mit technokratischem Heilsanspruch.
Private Macht im öffentlichen Raum
Musk verkörpert die Verschränkung dieser Elemente in personaler Form. Er vereint ökonomische Macht, infrastrukturelle Kontrolle, ideologische Anschlussfähigkeit und charismatische Führungsinszenierung. Dabei operiert er in einer Grauzone zwischen Markt, Staat und Öffentlichkeit. Dass er in der US-Regierung zum Chefberater Trumps aufgestiegen ist der öffentlichste Beweis für die Schattenherrschaft von neoliberalen Interessen in den USA.
Panayota Gounari weist in ihrer Analyse von Trumps Autoritarismus darauf hin, dass dessen Macht nicht in erster Linie durch Repression, sondern durch Diskursverschiebung legitimiert wurde: durch „false familiarity“, durch populistische Nähe, durch mediale Präsenz und soziale Plattformen als Disziplinierungsinstrumente (2018). Durch Musk Übernahme von X und die Wiederaktivierung von Trumps Account wird Musk damit zum direkten Befähiger dieser Form der Machtausübung.
Die Analyse der Figur Elon Musks verweist auf eine neue Konfiguration technopolitischer Macht, in der privatwirtschaftlich operierende Akteure nicht nur ökonomisch, sondern zunehmend infrastrukturell und ideologisch staatliche Souveränität überlagern. Das techno-autoritäre Dispositiv, das sich im Zusammenspiel von technokratischer Heilslehre, postdemokratischer Politikform und autoritärer Subjektstruktur entfaltet, stellt eine fundamentale Herausforderung für demokratische Öffentlichkeit dar. Wenn die demokratische Aushandlung politischer Fragen durch die neoliberalen Interessen einzelner ersetzt werden, braucht es nicht nur neue regulatorische Instrumente, sondern eine grundlegende Re-Politisierung technologischer Gestaltung, um die Rückgewinnung kollektiver Handlungsfähigkeit zu erreichen.
Literaturverzeichnis
Burston, Daniel (2017): “It can’t happen here”: Trump, authoritarianism and American politics. In: Psychotherapy and Politics International 15 (1), e1399. DOI: 10.1002/ppi.1399.
Gebru, Timnit; Torres, Émile P. (2024): The TESCREAL bundle: Eugenics and the promise of utopia through artificial general intelligence. In: FM. DOI: 10.5210/fm.v29i4.13636.
Gounari; Panayota (2018): Authoritarianism, discourse and social media: Trump as the’American agitator‘. Online verfügbar unter https://library.oapen.org/bitstream/handle/20.500.12657/26034/uwp-030-revised.pdf?sequence=1#page=246.
Ronan Farrow (2023): Elon Musk’s Shadow Rule. In: New Yorker, 21.08.2023. Online verfügbar unter https://www.newyorker.com/magazine/2023/08/28/elon-musks-shadow-rule, zuletzt geprüft am 01.05.2025.