Bereits zum zweiten Mal rief das Bündnis Feminism Unlimited am diesjährigen 8. März – dem internationalen Frauen(-kampf)tag – zu einer großen Demonstration in Berlin auf. Das Bündnis hatte im vergangenen Jahr bereits zwei Mal zu Protestzügen aufgerufen: einmal ebenfalls am 8. März sowie am ersten Jahrestag des Hamas-Überfalls, dem 7. Oktober. In diesem Jahr versammelten sich etwa 7.000 Menschen, um am 8. März gemeinsam zu demonstrieren.
Die Jungen Perspektiven sprachen mit Feminism Unlimited über die Notwendigkeit, sich zusammenzuschließen und autoritären Bedrohungen – gegen den Feminismus und aus der feministischen Szene selbst – zu trotzen.
Mit Fine und Ella vom Bündnis «Feminism Unlimited» sprach Laura Clarissa Loew.
Junge Perspektiven: Ihr habt euch anlässlich des internationalen Frauen(-kampf)tags 2024 erstmalig als Bündnis zusammengeschlossen und zu einer gemeinsamen Demonstration aufgerufen. Woher kam das Bedürfnis, sich in einem neuen Bündnis zu organisieren? Welche Leerstellen sollten mit diesem Angebot gefüllt werden?
Feminism Unlimited: Wir haben uns als Bündnis feminism_unlimited nach dem 7. Oktober 2023 zusammengefunden, weil uns das Schweigen und Verleugnen aus der linken und speziell der feministischen Szene zur geschlechtsspezifischen Gewalt des Massakers der Hamas entsetzt hat. Wir wollten, dass linke, antifaschistische Feminist*innen am 8. März 2024 einen politischen Ort in Berlin finden, an dem sich klar gegen jeden Antisemitismus positioniert wird und dieser auch keine Relativierungen erfährt. JP: Eure Aufrufe veröffentlicht ihr auf diversen Sprachen, von arabisch bis ukrainisch, und ihr bemüht euch auch um barrierearmen Zugang zur Demonstration. Wer ist die Zielgruppe des Bündnisses, wen vereint das Bündnis bisher und welche Gruppen möchtet ihr vielleicht noch erreichen? FU: Wir stehen für einen universellen Feminismus, der sich gegen Selektivitäten richtet – das betrifft nicht nur das Thema Antisemitismus, sondern auch Rassismus und viele weitere menschenfeindliche Ideologien und Herrschaftsverhältnisse. Wir bemühen uns um einen möglichst barrierearmen Zugang zu unserer Demonstration, auch weil dieses Thema im Kontext linker Demonstrationen oft ignoriert wird und damit Ausschlüsse zur Folge hat. Deshalb haben wir für die Demonstration unter anderem Gebärdensprachen-Übersetzung organisiert. Der inhaltliche Fokus unserer Demo war dieses Jahr antifaschistischer Feminismus mit globaler Perspektive. Denn aktuell beobachten wir global eine Vielzahl an Krisen und Kriegen sowie rechte Verschiebungen durch ein Erstarken autoritärer rechter Akteur*innen und gerade feministische und queere Rechte und Existenzen sind davon bedroht. Deshalb hatten wir Redebeiträge, die zum Beispiel die Situation im Sudan thematisiert haben oder eine migrantische Perspektive eingebracht haben. Wir wollen damit auch feministische migrantische Gruppen erreichen, denn wir sind stärker, wenn wir uns in unseren Kämpfen zusammenschließen.
JP: In eurem Aufruf betont ihr den internationalen und universalistischen Anspruch eures Feminismus und plädiert dafür, Kämpfe zu verbinden. Wie ist euch bisher gelungen, diesen theoretischen Anspruch in die Praxis umzusetzen? Welche vereinigenden Momente und Erfolge habt ihr erfahren, von welcher (innerfeministischen) Seite ist euch aber vielleicht auch Kritik oder Unverständnis entgegengeschlagen?
FU: Wir haben in diesem Jahr viele neue Kooperationen mit Gruppen begonnen, mit denen wir auch über den 8.März hinaus solidarisch verbunden bleiben wollen. Dazu gehört die migrantische Organisation PenaGer, die Unterstützung für Geflüchtete organisiert, insbesondere gegenüber rassistischen Strukturen im Asylprozess. Auch der Kontakt zur Queerpride Dresden und dem CSD Bautzen ist eine neue Verbindung, die uns angesichts der steigenden Bedrohung durch Queer- und Transfeindlichkeit, wie zum Beispiel durch Nazi-Angriffe auf Prides im Osten, wichtig ist.
Es begegnet uns aber auch Feindseligkeit meist aus der Richtung sich als palästinasolidarische Feminist*innen verstehender Gruppen. Die Vorwürfe sind dabei, dass wir einen weißen Feminismus vertreten würden ohne mehr als unsere Positionierung gegen Antisemitismus als Begründung anzuführen. Dieses Jahr gab es zudem einen gegen uns gerichteten Text von einer Person, die wegen ihres Verhaltens aus dem Bündnis ausgeschlossen werden musste. Darin werden schwere Vorwürfe unter anderem von Transfeindlichkeit gegen uns erhoben und gedroht, interne Informationen zu leaken. Dieser Text stellt eine starke Verdrehung der Geschehnisse dar, wie wir in unserem Statement dazu erläutert haben. Dennoch hat er eine große Reichweite erfahren, zu einer Verschärfung der Grabenkämpfe in der feministischen Szene Berlins beigetragen und hatte Auswirkungen auf das Bündnis und angrenzende politische Strukturen. Wir haben im vergangenen Jahr und werden uns auch weiterhin mit dem Thema Transfeindlichkeit innerhalb von feministischen Zusammenhängen auseinandersetzen und uns dabei auch selbst kritisch reflektieren. Konstruktive Kritik begrüßen wir und sehen sie als unverzichtbar für solidarische Zusammenarbeiten und die Weiterentwicklung feministischer Bewegungen. Kämpfe solidarisch verbinden heißt auch Kritik aneinander üben und sich dabei aber eben nicht zu entsolidarisieren, sondern in Reflexionsprozesse zu gehen. JP: Ihr bemüht euch als Bündnis, Brücken zu schlagen, auch zwischen traditionellen Spaltungslinien der linken Szene in Deutschland. Ihr kritisiert sowohl das Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 als auch den seitdem dauernden israelischen Krieg im Gazastreifen und die Übergriffe im Westjordanland aus feministischer Perspektive. Habt ihr den Eindruck, dass dieses Angebot angenommen wird, dass der Versuch der De-polarisierung fruchtet? FU: Ja, wir sehen, dass das Angebot dieser Perspektive Zuspruch findet. Das wird deutlich z.B. an den relativ hohen Teilnehmerzahlen bei unseren Veranstaltungen und darin, dass wir nach wie vor viel positive Rückmeldung erfahren. Seit unserer ersten Demonstration bekommen wir nicht nur Nachrichten von u.a. jüdischen Genossinnen, die uns vermitteln, wie wichtig Orte wie unsere Veranstaltungen sind, sondern es melden sich aktuell immer mehr Strukturen aus anderen Städten, die mit ähnlicher Schwerpunktsetzung Aktionen und Bündnisse umsetzen wollen. Nach unserem offiziellen Aufruf zur Gründung gibt es inzwischen acht weitere solcher Bündnisse, unter anderem in Dortmund, Kassel, Leipzig, Mainz, München, Regensburg, Siegen und Wien. Weitere sind gerade in Gründung. Das freut uns natürlich sehr und bestärkt uns in unserer Arbeit. Gleichzeitig haben wir damit zu kämpfen, dass auch mediale Berichterstattung gern in polarisierenden Bildern berichtet. Da wird dann pauschal von Demonstrationen der palästinasolidarischen und der israelsolidarischen Bündnisse berichtet – anstatt sich mit unseren Inhalten auseinanderzusetzen. Wir haben auch Kritik an der sich als israelsolidarisch bezeichnenden Linken. Da werden feministische Themen oft als vernachlässigbar oder gar lästig betrachtet und auch Transfeindlichkeit ebenso wie Rassismus bleiben teilweise unreflektiert oder werden zumindest toleriert. Dem stellen wir uns entgegen und ernten auch aus dieser Richtung vereinzelt Anfeindungen. JP: Der Name des Bündnisses ist bezeichnend für euer Programm – Feminism Unlimited. Von welchen AkteurInnen werden feministische Kämpfe derzeit limitiert, begrenzt? FU: Zuerst ist zu nennen der Antifeminismus, der als Teil von globalen politischen Verschiebungen gerade eine Hochzeit erfährt. Von der AfD bis zu Trump oder Orbán – feministische Errungenschaften werden torpediert und völkisch-rassistische sowie transfeindliche Narrative erfahren öffentlich vermehrt Zustimmung im Sinne eines binären Geschlechterbildes, in dem Frauen auf eine Mutterrolle reduziert werden. In diesem Zuge steigt auch die Gewalt gegen Queers und Frauen, deren Existenzen und Rechte verneint oder beschränkt werden. Gleichzeitig findet auch durch Verbreitung von Islamismus ein Anstieg von antifeministischer Repression statt, sei es nach wie vor durch die Auswüchse des iranischen Mullah Regimes, der misogynen Terrorherrschaft der Taliban in Afghanistan oder der HTS in Syrien. Wir sehen aber auch in inner-feministischen Bewegungen Feminismus Auslegungen, die nicht emanzipatorisch sind, beispielsweise in neo-liberalem Girl-Boss Feminismus, Feminismen die sich auf die Befreiung ausschließlich weißer Frauen beschränken, trans-exklusive Auslegungen von Feminismus oder auch eben große Teile der feministischen Bewegung die jüdischen FLINTA ihre Solidarität entziehen.
JP: Unsere Ausgabe ist autoritären Bedrohungen gewidmet; sowohl solchen, mit denen linke und feministische AkteurInnen von außen konfrontiert werden, als auch solchen aus der Szene selbst. Auch ihr betont in eurem Aufruf, dass ihr euch autoritären Tendenzen innerhalb der feministischen Szene selbst entgegensetzen wollt. Wie äußern sich diese?
FU: Wir sehen nicht nur, aber auch innerhalb der feministischen Szene eine Verbreitung autoritärer roter Gruppen, die feministische Themen, Anlässe und Bündnisse besetzen und vereinnahmen für ihre Zwecke. Die Gruppe Zora ist ein solches Beispiel. Sie ist eng verbunden mit Young Struggle und hat unter anderem nach dem 7.10 die sexuelle Gewalt der Hamas als Befreiungsschlag gefeiert.
Die Strukturen dieser Gruppen sind autoritär, sie nutzen linke und feministische Zusammenhänge als Plattform und wenn Akteur*innen sich gegen die Vereinnahmung wehren wollen, wird dies aktiv bekämpft. Ein Beispiel ist die «Jetzt reicht’s – Wir frieren nicht für Profite»-Demonstration in Leipzig 2022, die von der Gruppe Handala und weiteren Gruppen, vermutlich aus dem Umfeld der autoritären Gruppe Kommunistischer Aufbau, mit einem Block voller Palästina-Fahnen gecrashed wurde. Auch im Rahmen von Studierendenstreiks oder kritischen Orientierungswochen an Universitäten tauchen autoritäre rote Gruppen auf und vereinnahmen die Zusammenhänge. Ein weiteres Beispiel ist die Antifa-Demonstration in Erfurt im November 2023, deren Orga-Strukturen von einzelnen Gruppen unterwandert worden war, die Teil von oder eng verbunden mit der sich seit dem 7.10 kontinuierlich antisemitisch äußernden Gruppe Young Struggle sind. Nachdem dies deutlich wurde und die Organisator*innen Young Struggle aufforderten, nicht an der Demonstration teilzunehmen, folgten Gewaltandrohungen und weitere Mobilisierung nach Erfurt durch Young Struggle, sodass sich die Antifa-Gruppen aus Erfurt gezwungen sahen, die Demo abzusagen.
Feministische Themen bilden einen Fokus dieser Aktivitäten. Ob der Tag gegen Gewalt an Frauen am 25.11. oder eben der feministische Kampftag – die Anlässe werden für die eigenen Zwecke genutzt, Strukturen übernommen und andere verdrängt. Die Alliance of International Feminists ist ein Beispiel hierfür. Sie feierte auf ihrer «Glory to the resistance»-Demo am 7. Oktober 2024 das Massaker der Hamas, präsentiert das Hamas-Dreieck und Aufkleber mit der Aufschrift «I love Hamas» auf Social-Media-Plattformen und präsentiert die PFLP-Terroristin Leila Khaled groß auf ihren Plakaten für den 8. März, den sie als Tag zum Kampf gegen Israel umdeklarieren.
JP: Zu guter Letzt: wie verlief die diesjährige Demonstration am 8. März? Und welche Zukunft hat das Bündnis FeminismUnlimited?
FU: Die Demonstration dieses Jahr war kraftvoll, die Redebeiträge haben berührt, wütend gemacht und den Zusammenhang unserer Kämpfe gegen patriarchale Strukturen und globale rechte Verschiebungen deutlich werden lassen. Wir arbeiten daran, uns weiter zu vernetzen, sowohl innerhalb der Feminism Unlimited Gruppen und Bündnisse überregional als auch mit antifaschistischen feministischen Gruppen und Gewerkschaften. Das große Interesse daran macht uns Mut.