Juso-Hochschulgruppen von 1973 bis 1990 – Aufbrüche und Wegmarken

Von Martin Gorholt und Malte Ristau

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Die Gründung und ihre Väter

Der 18. März 1973 kann als das Gründungsdatum der Juso-Hochschulgruppen angesehen werden. Es trafen sich in Saarbrücken die ohne überregionalen Bezug entstandenen Juso-Hochschulgruppen Uni Saarbrücken, Uni Gießen, Uni Hohenheim, Uni Hannover und Uni Köln. Die Hochschulgruppen hatten sich eher zufällig im Jahr zuvor auf der Mitgliederversammlung des Dachverbandes der Deutschen Studentenschaften kennengelernt und einen Austausch zum weiteren gemeinsamen Vorgehen verabredet. Willy Brandt war noch Bundeskanzler und die sozialliberale Koalition beeindruckte noch durch reformerischen Elan. Das waren gute Ausgangsbedingungen für die neue Kraft an den Hochschulen.

Der Parteivorstand der SPD hatte dem Sozialdemokratischen Hochschulbund (SHB) 1972 den Namen «Sozialdemokratisch» aberkannt. Der sich nunmehr Sozialistischer Hochschulbund nennende Verband war als Nachfolgeorganisation des SDS gegründet worden, der sich in den 1960er von der SPD wegentwickelt hatte. SDS und SHB waren die maßgeblichen Träger der Studentenbewegung 1966-1969. Nach dem sich der SHB immer mehr in eine dogmatische sowjetmarxistische Theorierichtung in engster Aktionseinheit mit dem Studierenden-Verband der DKP, dem MSB-Spartakus, begab, hatte 1972 eine Minderheit, die antirevisionistische «Sozialistische Fraktion» (SF), den SHB verlassen.

Jusos im eigentlichen Sinne waren seitdem an den Hochschulen ohne eigene Struktur. Das wollten die fünf Gruppen, die sich in Saarbrücken trafen, ändern. Allerdings hatten sie keinen organisatorisch unabhängigen Verband im Auge. Im Gründungsprotokoll heißt es: «Eine enge Verzahnung mit der lokalen und regionalen Basis der Jungsozialisten soll verhindern, dass die hochschulpolitische Theorie und Praxis isoliert an den Hochschulen allein betrieben wird.»

Die Hochschulgruppen lassen sich gut nach drei Personen einordnen, die sie repräsentierten. Ottmar Schreiner aus Saarbrücken, seit 1973 im Vorstand des VDS, Reformsozialist und mitreißender Redner, kandidierte 1977 und 1978 gegen Klaus-Uwe Benneter (Stamokap) und Gerhard Schröder (Anti-Revisionist) um den Juso Bundesvorsitz, blieb bis zu seinem Tode im Jahr 2013 u.a. als Bundestagsabgeordneter und AfA Bundesvorsitzender seiner freiheitlich-linken Linie treu. Rudolf Hartung war 1972 Vorsitzender des AStA Uni Köln. Er galt als machtbewusst und Organisationstalent. Hartung wurde der erste Bundesgeschäftsführer der Juso-Hochschulgruppen, Juso-Bundessekretär und Juso-Bundesvorsitzender. Später war er tätig in unterschiedlichen Funktionen in der SPD-Parteiorganisation. Er starb 2020. Richard Meng aus Gießen begründete in den Hochschulgruppen eine am subjektiven Faktor orientierte, undogmatische Sicht. Er setzte sich mit anderen dafür ein, mobilisierend an emanzipatorischen Werten anstatt an Kollektiv-Interessen anzuknüpfen. Meng engagierte sich anschließend im Juso-Verband, arbeitete als Journalist bei der Frankfurter Rundschau, war Sprecher des Berliner Senats und ist heute Chefredakteur der Zeitschrift «Die Neue Gesellschaft».

Es gab eine Art Aufbruchstimmung bei den Juso-Hochschulgruppen. Vor allem Rudolf Hartung aus dem Erich-Ollenhauer-Haus in Bonn und Ottmar Schreiner über den VDS-Vorstand trieben Neugründungen an den Hochschulen voran. Mitte der 1970er wurde ein Allzeit-Hoch von fast 120 Gruppen erreicht. Große Gruppen hatten bis zu 100 aktive Mitglieder. Es kamen Jusos, die auch an den Hochschulen aktiv werden wollten oder die aus dem SHB austraten, und auch viele zunächst parteilose Studierende, die sich im sozialdemokratischen Spektrum engagieren wollten. Das Meinungsspektrum umfasste vorerst die Richtungen wie im Juso Gesamtverband, außer den «Stamokap»-Positionen. Fraktionskämpfe setzen erst dann ein, als letztere vom SHB in die Juso-HSG überwechselten.

Positionsbestimmungen

Die hochschulstrategische Positionsbestimmung war stark von der Abgrenzung zum MSB-Spartakus, zum SHB und der «Gewerkschaftlichen Orientierung» geprägt, die ein vorgeblich gleichgerichtetes Interesse von Arbeiterklasse und Studierenden postulierten und starr auf zentral festgelegte und organisierte Aktionen setzten. Nach 1989 stellte sich heraus, dass viele der umstrittenen Aktionen, wie auch manches in den neuen sozialen Bewegungen, als Direktive aus Ostberlin gekommen waren. Als nach der friedlichen Revolution in der DDR die Zahlungen an MSB und SHB ausblieben, verschwanden die beiden Organisationen ziemlich rasch. 

Die Jusos wollten mit ihrer Studentenpolitik an konkreten Problemen ansetzen und diese in gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge stellen. Wichtig war für sie die Kritik der Wissenschaft und ihre einseitige Ausrichtung an herrschenden Interessen. Bündnisse hatten für die Hochschulgruppen pragmatischen Charakter und waren auf Zeit angelegt.

Das damalige Klima und die politische Kultur an den Hochschulen waren links und antikapitalistisch geprägt. Die Rivalität zwischen den linken Gruppen nahm aber spürbar zu zwischen maoistisch orientierten K-Gruppen, den an (Spontan-) Aktionen orientierten Basisgruppen, den sowjetmarxistischen SHB und MSB-Spartakus, sowie den studentischen Organisationen der damaligen sozial-liberalen Koalition LHV und Jusos. Die Juso-Hochschulgruppen bestimmten in diesen Spektren ihre Position, waren zwar auf die SPD orientiert, aber mehr auf ihre Veränderung als Unterstützung. Sie schwankten stark zwischen verbalem Radikalismus und realpolitischem Handeln. Eindeutig und identitätsstiftend war die Abgrenzung von den sowjetmarxistisch ausgerichteten Gruppen. Man bekannte sich zum demokratischen Weg der grundlegenden Veränderung der Gesellschaft unter Wahrung der Grundrechte.

1975 kam es zum Übertritt einiger SHB-Gruppen insbesondere aus Berlin und Hamburg zu den Juso-Hochschulgruppen. Weitere folgten. Inhaltlich gab es zum SHB kaum Differenzen, die zu geringe Orientierung auf die Jusos und die SPD wurde kritisiert. Seitdem sind alle Positionen bei den Jusos auch in den Juso-Hochschulgruppen vertreten. Die «Stamokap»-Gruppen, nach ihrem Gründungsort «Freudenberger» genannt, stellten mit der Zeit ein knappes Drittel der Juso-Hochschulgruppen, die Ende der 1970er noch an etwa 80 Hochschulen existierten.

Institutionalisierung

Im Dezember 1974 beschloss der Juso-Bundesausschuss über die Verankerung der Juso-Hochschulgruppen im Gesamtverband. Die Juso-Hochschulgruppen hatten in den Studierendenschaften eine Stärke erlangt, so dass der Gesamtverband trotz viel Skepsis daran nicht vorbeikam. Die Juso-Hochschulgruppen wurden zu Projektgruppen der Jusos, über die Namensgebung bzw. Anerkennung entschieden die Juso-Bezirke. Zweimal im Jahr trafen sie sich zu Bundeskoordinierungstreffen, auf denen jede Juso-Hochschulgruppe eine Stimme hatte, und das einen 4 bis 7-köpfigen AK Hochschule wählte, eine Art Bundesvorstand ohne Vorsitzendenfunktion. Dadurch wurde faktisch die Position des Bundesgeschäftsführers aufgewertet, der sowohl (einzige) hauptamtliche Kraft war sowie  gleichzeitig den Vorsitz des AK Hochschule also des ehrenamtlichen Gremiums führte und die HSG damit nach außen repräsentierte.

Die Juso-Hochschulgruppen waren damit faktisch der Studierendenverband der Jusos und der SPD. Der nunmehr orthodox-marxistischen Mehrheit bei den Jusos seit Ender der 70er Jahre war es ein Dorn im Auge, dass die reformsozialistischen Jusos in den Hochschulgruppen eine starke organisatorische als auch inhaltliche Stütze hatten. Der Aschaffenburger Juso-Bundeskongress 1979 beschloss dennoch: «Die Jungsozialisten streben die organisatorische Vereinheitlichung der Juso-Positionen im Hochschulbereich über die Juso-Hochschulgruppen an.» Zu Strukturveränderungen kam es erst Ender der 90er Jahre wieder, als der AK Hochschule in Bundesvorstand umbenannt und ein Beirat der Hochschulgruppen gegründet wurde.

Hochschulpolitik und Abwehrkampf

Mobilisierende Studentenbewegung und ökonomische Notwendigkeit hatten Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre einen Demokratisierungs- und Expansionsschub im Bildungsbereich ausgelöst. Sozialliberale Koalitionen verkörperten diesen Trend und setzten wichtige Reformen um. Die Einrichtungen im Vorschulbereich wurden gestärkt, die Durchlässigkeit des dreigliedrigen Schulsystems erhöht, Gesamtschulen gebaut, Universitäten und Gesamthochschulen gegründet, das BAföG eingeführt, die Ordinarienuniversität abgeschafft. Diese Entwicklung stoppte Mitte der 70er Jahre. Von «Gegenreform» (Martin Greiffenhagen) war zu Recht die Rede. Das Bundesverfassungsgericht entschied 1973, die im Grundgesetz garantierte Freiheit von Forschung und Lehre bedeute eine Mehrheit für die Professorenschaft in den Hochschulgremien bei allen Fragen mit Wissenschaftsrelevanz. Das Hochschulrahmengesetz von 1975 wurde von den Studierendenschaften als rückschrittlich angesehen und die Finanzsituation des Staates aufgrund der Wirtschaftskrise 1975/76 führte zu Sparpolitik im Bildungsbereich. Studierendenpolitik wurde zum Abwehrkampf gegen diese Entscheidungen. 

Politisierende Wirkungen auf die Gesamtgesellschaft blieben aus, die eigenen studentischen Interessen standen im Mittelpunkt. Und das war der Ausgangspunkt eines Streits. War der Einsatz für die Interessen der Studierenden automatisch links, oder konnten nicht auch ständische Interessen darunter sein? Wie waren Proteste gegen die Zusammenlegung von Universitäten und Fachhochschulen einzuschätzen, bei denen Argumente eine Rolle spielten, das Uni-Diplom werde abgewertet? Oder später die studentischen Aktionen gegen die Fusion von Universitäten und Pädagogischen Hochschulen, die auch von der konservativen Professorenschaft unterstützt wurde, die mit der Lehrerausbildung nicht in Berührung kommen wollten? MSB-Spartakus und SHB lösten für sich das Problem, in dem sie ein «So nicht» formulierten, da der Zusammenschluss mit einem Spardiktat verbunden sei. Die Juso-Hochschulgruppen setzten auf eine Doppelstrategie, an der Basis und innerhalb der SPD.

1975 wurden die «Vereinigten deutschen Studentenschaften (VDS)» gegründet, ein Zusammenschluss der bundesweiten Vertretungen der Studierendenschaften der Fachhochschulen und Universitäten. Im Vorstand saßen zunächst je ein Vertreter der undogmatisch-linken Basisgruppen, des Liberalen Hochschulverbands, der Juso-Hochschulgruppen, des MSB-Spartakus und des SHB. Eine Kooperation mit dem Unions-Studierenden-Verband RCDS oder dem Sozialliberalen Hochschulverband wurden selbst dann kategorisch ausgeschlossen, wenn von diesen Organisationen SPD-nahe Vorschläge kamen. Doch der Dachverband VDS war hoch zerstritten, 1979 traten die Basisgruppen aus dem Vorstand aus. Für die Juso-Hochschulgruppen war es auch aufgrund interner Konflikte schwer, einen festen Standpunkt zur Vorstandsmitgliedschaft zu entwickeln. Zwischendurch waren mit Petra Günther und Gerd Oelsner die Juso-Hochschulgruppen im Vorstand mit zwei Personen vertreten. Streit entzündete sich immer an den Zielsetzungen und der Sinnhaftigkeit zentraler Aktionen, wie 14tägiger Streiks. Die Juso-Hochschulgruppen hatten ein Problem damit, ob Studierende im gewerkschaftlichen Verständnis überhaupt «streiken» konnten, oder es sich nicht vielmehr um einen Vorlesungsboykott handelte. Zudem bezweifelten sie die Sinnhaftigkeit von bundesweit unabhängig von lokalen Bedingungen praktizierten Quasi-Generalstreiks. Es entstanden dann abstruse Kompromissformulierungen wie «Möglichst bundesweiter Streik, das heißt aktiver Boykott der Lehrveranstaltungen» oder «Massivste Aktionen und Streiks: bundesweit». Parallel zu Streikaktionen sollte eine «Demokratische Gegenhochschule» (MSB/SHB-Duktus) bzw. sollten «kritische Hochschulen» (Juso-HSG) veranstaltet werden.

Neue Ansätze an den Hochschulen

Unumstritten waren Aktionen und Demonstrationen für die Absicherung und Erhöhung der BAföG-Sätze. Real sank seit den 70er Jahren die Unterstützung durch das BAföG und der Darlehensanteil wurde erhöht. Der Anteil der Arbeiterkinder an den Gesamtstudierenden sank. Bekämpft wurden insbesondere die Änderungen am BAföG durch die neue konservativ-liberale Koalition ab 1982.

1982 verabschiedeten die Delegierten des Bundeskoordinierungstreffens eine hochschulpolitische Plattform «Gegen Sozial- und Bildungsabbau – für eine alternative Wirtschafts- und Sozialpolitik». Mit einer Initiative «Gesellschaftswissenschaftler für die 35-Stunden-Woche» mit 13 Erstunterzeichnern und 900 Letztunterzeichnerinnen und -unterzeichnern, darunter 280 Professoren wurde der Streik von IG Metall und IG Druck und Papier unterstützt.

Die Juso-Hochschulgruppen griffen auf Ideen aus der Studenten- und Assistentenbewegung der 60er zurück. Sie unterstützten und förderten alternative Wissenschaftseinrichtungen. Dazu gehörten Kooperationsstellen Hochschul-Gewerkschaften, Wissenschaftsläden und Geschichtswerkstätten, Konzepte von Frauenforschung, Friedensforschung und ökologisch orientierter Wissenschaft.

Mit dem Veranstaltungskonzept «Offene Hochschule» wurde eine doppelte Öffnung beabsichtigt, die Hochschulen für Menschen, die sonst keine Zugangsmöglichkeit hatten und für die sozialen Bewegungen, gleichzeitig die Lehre und Wissenschaft für gesellschaftliche Aufgaben und gesellschaftliche Verantwortung. Wenn auch die Ansprüche nicht voll erfüllt werden konnten, entwickelte sich eine Tradition an kritischen Hochschulen, Volksunis u.a., die Wissenschaft schrittweise ihren elitären Charakter nehmen sollte.

Theorie und Praxis

Seit 1977 gaben die Juso-Hochschulgruppen die Arbeitshefte heraus. Bis 2009 erschienen 108 Ausgaben. Damit hatte die Zeitschrift eine ungewöhnliche Kontinuität und große Bedeutung erlangt und hatte im Juso-Verband eine Alleinstellung. Mit ihr wurden Diskussionen angestoßen und eigenständig Positionen entwickelt. Die Zeitschrift stellte sich im linken Spektrum pluralistisch auf, sowjetmarxistische Meinungen waren selten vertreten. An Impulse der Studentenbewegung wurde angeknüpft, vor allem aber stark auf die Themen der neuen sozialen Bewegungen Bezug genommen. Dazu gehörten die Wohnungsfrage, die Ökologie- und die Anti-Atomkraftbewegung, die feministischen Themen. Im engeren Sinne hochschulpolitische Themen wurden selbstverständlich auch behandelt. 

Heftige Debatten an den Hochschulen lösten die Ausbürgerung von Wolf Biermann aus der DDR, der Militärputsch gegen die Solidarnosc in Polen und die militärische Intervention der Sowjetunion in Afghanistan aus. Während MSB und SHB alles rechtfertigten, kritisierten die Juso-Hochschulgruppen (mehrheitlich) und Basisgruppen die Ereignisse. Sie organisierten Solidaritäts-Veranstaltungen und Hilfe für polnische Partner-Hochschulen. Ähnliche ideologische Unterschiede zeigten sich auch in der Friedensbewegung und in der Umweltbewegung. Die Juso-Hochschulgruppen bekundeten unmissverständlich, dass sie sowjetische Raketen nicht friedenssichernd fanden und sowjetische Atomreaktoren nicht sicherer, weil vom Volke kontrolliert. In diesen Kontroversen vertiefen sich gemeinsame Haltungen von Juso-HSG und grün-alternativen Basisgruppen. Viele Allgemeine Studierenden Ausschüsse, Fachschaftsräte und Parlamente lassen sich aus der Rückschau als Versuchslabore späterer rot-grüner Zusammenarbeit in Regierungen einstufen.

Es gab auch linke Diskurse, die innerhalb der SPD ihren Ursprung hatten und aufgegriffen wurden. Ein wissenschaftlicher Kreis um Horst Heimann und Thomas Meyer von der Friedrich-Ebert-Stiftung gründete in den 70er Jahren die Hochschulinitiative Demokratischer Sozialismus (HDS), die in den Gesellschaftswissenschaften einen Gegenpol zur orthodox-marxistischen Richtung bilden wollte, stark an die Beiträge von Eduard Bernstein anknüpfte und vor allem Fragen der Wirtschaftsdemokratie diskutierte. Die Debatte bei den Juso-Hochschulgruppen prägte auch Peter von Oertzen u.a. mit seinem Buch «Für einen neuen Reformismus» von 1984. Jochen Steffen widmeten die Hochschulgruppen nach seinem Tod 1987 ein Arbeitsheft. Steffen hat mit seinem Buch «Strukturelle Revolution» viele Jusos geprägt, früh ökologische Themen aufgegriffen und sich hart gegenüber dem realen Sozialismus («wo alles real ist, nur nicht der Sozialismus») abgegrenzt. Für ein frühes Aufgreifen der ökologischen Fragen standen der seinerzeitige reformsozialistische Juso-Theoretiker Johano Strasser oder auch Fritz Vilmar und Klaus-Jürgen Scherer mit ihrem Buch «Ökosozialismus».

In der Tat war das frühe Aufgreifen der Anliegen der Ökologiebewegung eine entscheidende Prägung für die Juso-Hochschulgruppen. Dafür stehen die Konferenz und der Tagungsband von Ralf Ludwig und Martin Gorholt «Rettungsversuche – Der ökologische Umbau der Industriegesellschaft».

Noch durchdringender und verändernder war für die Juso-Hochschulgruppen die Frauenfrage. Die Hochschulgruppen griffen Diskussionen in der AsF aber auch der autonomen Frauenbewegung auf. Für sie handelte es sich um keinen Nebenwiderspruch, sondern um eine neben dem Widerspruch von Arbeit und Kapital gleichwertig zu behandelnde Frage. Eine ganze Generation von Frauenpolitikerinnen, die den Diskurs bei den Jusos und in der SPD in den 80er Jahren und danach prägte, kam aus den Juso-Hochschruppen: Gabriele Schwietering, Vera Konieczka, Ruth Winkler, Dagmar Schlapeit, Doris Eyl, Carola Parniske und andere sorgten später vor allem in kommunalen Ämtern für Veränderung. Die Beschäftigung mit feministischen Themen stellte natürlich auch Strukturen der einzelnen Gruppen und Männer-Rollen in Frage. 

Von den Juso-Hochschulgruppen gingen Impulse für die sozialdemokratischen Debatten über Theorien des Demokratischen Sozialismus aus, von Ruth Winkler und Malte Ristau zusammengefasst in ihrem Aufsatz über den Progressiven Reformismus, der «sich auf demokratischem Wege in dieser Gesellschaft vorwärts und gleichzeitig aus ihr herausarbeitet». Strukturmerkmale waren eine neue ökonomische Logik, ein selektives Wachstum, die Neubestimmung des Verhältnisses von Arbeit und arbeitsfreier Zeit, die Akzeptanz eines selbstbestimmten feministischen Weges, die untrennbare Verbindung von Demokratie und Sozialismus und der Widerstand gegen Ausbeutung auch im Weltmaßstab.

Beiboot für Peter Glotz

Diese Vorreiterrolle und den undogmatisch linken Politikzugang machte sich auch der damalige (1981 bis 1987) Bundesgeschäftsführer der SPD, Peter Glotz, zunutze. Seine Aufgabe war es, unter dem Parteivorsitzenden Willy Brandt die SPD nach den Helmut Schmidt Jahren neu aufzustellen, eine Brücke zu den neuen sozialen Bewegungen zu schlagen und in Deutschland und Europa neue Ideen zu finden. Glotz definierte die SPD als unbeweglichen Tanker und betonte die Notwendigkeit von beweglichen Beibooten. Eines davon sollten die Juso-Hochschulgruppen sein. Die Juso-Hochschulgruppen wurden Plattform beispielsweise von Diskussionen mit italienischen Reformkommunisten wie Pietro Ingrao oder mit der deutschen Argument-Gruppe um Frigga und Wolfgang Haug. Gemeinsam startete man auch hochschulpolitische Diskussionen, in Form von Kongressen aber auch von dezentralen Veranstaltungen an den Hochschulen. 

Die Hochschulgruppen spielten mit ihren Positionsfindungen aber auch mit ihrer an den Sozialen Bewegungen orientierten Praxis eine bedeutende Rolle innerhalb der Jusos und vor allem ihrem reformsozialistischen Flügel. Das drückte sich auch personell aus, so mit Matthias Kollatz und Doris Ahnen, Mitte bzw. Ende der 80er Jahre prägend als stellvertretende Bundesvorsitzende und später Finanzminister/in in Rheinland-Pfalz bzw. Berlin und von Ralf Ludwig, Juso-Hochschulgruppe Aachen, heute Physik-Professor an der Uni Rostock, der mit den neuen Mehrheiten nach der deutschen Einheit und der Fusion mit den Jungen Sozialdemokraten Bundesvorsitzender der Jusos werden konnte.

Rot-Grün

1987 produzierten und verteilten die Juso-Hochschulgruppen einen Aufkleber rot-grün. Dem SPD-Landesgeschäftsführer von NRW Bodo Hombach fiel der Aufkleber in die Hände. Ein lauter Anruf bei Peter Glotz folgte. NRW-Ministerpräsident Johannes Rau befand sich als Kanzlerkandidat gerade im Bundestagswahlkampf. Die Juso-Hochschulgruppen waren mit ihren frühen Verbindungen zu den neuen sozialen Bewegungen die ersten, die noch vor den Jusos insgesamt Richtung rot-grüner Gestaltungsoptionen dachten. Für Expertise hatten sie auch die Verbindung zur Wissenschaft und brachten sich inhaltlich sowohl in den Juso-Verband als auch in die SPD mit ihren Meinungen ein. Es wurden Konzepte zur Verbindung von Arbeit und Umwelt oder zur Verbindung der ökologischen mit der sozialen Frage entwickelt. Kulturell und personell waren die Juso-Hochschulgruppen als Scharnier gut geeignet, da sie enge Verbindung zu den Basisgruppen und anderen den Grünen nahestehenden Gruppen hatten. Das progressive Projekt Rot-Grün wurde dann quasi für mindestens 20 Jahre die Ersatz-Chiffre für «Demokratischen Sozialismus». Der Mit-Gründer der Juso-Hochschulgruppen Richard Meng bestimmte in mehreren Büchern und Aufsätzen die programmatischen Schnittmengen und im Arbeitsalltag des SPD-Parteivorstandes in Bonn warben Ende der 80er Jahre eine Reihe von ehemaligen Aktiven der Hochschulgruppen für Rot-Grün. Ruth Winkler und Malte Ristau organisierten vertraulich Ende der 80er Jahre vertrauensbildende Gesprächsrunden mit führenden Grünen wie Ludger Volmer oder Antje Vollmer und nach 1990 mit den Abgeordneten von Bündnis 90.

Auf dem Weg zur deutschen Einheit

Willy Brandt war die politische Leitfigur, wegen ihm traten viele junge Menschen in den 70er Jahren in die SPD ein. Seine Biografie war glaubwürdig, und er stand als Bundeskanzler für «mehr Demokratie wagen» und die Entspannungs- und Ostpolitik. Das war bei den Juso-Hochschulgruppen nicht anders, inklusive der mobilisierenden Unterstützung für die Entspannungspolitik. Allerdings gab es eine deutlich von Teilen der Sozialdemokratie und der Mehrheit im Juso-Verband seit Mitte der 70er Jahre zusätzliche Akzentsetzung. Für die Juso-Hochschulgruppen gehörte die Abgrenzung zum «realen Sozialismus» nach sowjetischem Modell zu ihrer Identität. Sie wollten einen demokratischen und freiheitlichen Sozialismus auf demokratischem und parlamentarischem Weg. Dieser Sozialismus war als Prager Frühling 1968 von den sowjetischen Truppen zerstört worden, mit Hilfe der USA war die Regierung Allende 1973 in Chile weggeputscht worden. Das sowjetische Modell wurde hart kritisiert auch deshalb, um den Sozialismus als über den Kapitalismus hinausweisende Gesellschaftsordnung der Freien, Gleichen und Solidarischen nicht generell diskreditieren zu lassen. Das spätere reine Denken in den Kategorien von Stabilität und Gleichgewicht ging den Juso-Hochschulgruppen an einigen Stellen zu weit, sie kritisierten klar den Krieg der Sowjetunion in Afghanistan und den Militärputsch von General Jaruzelski gegen das Erstarken der Solidarnosc-Bewegung in Polen, den viele Sozialdemokraten als eine «bedauerliche Notwendigkeit» bezeichneten. Durch ihre Auseinandersetzungen mit dem MSB und dem SHB an den Hochschulen waren sie argumentativ geschult. Kontakte zu Oppositionsgruppen in Osteuropa waren für die Hochschulgruppen selbstverständlich. Das galt auch bsp. für Umweltgruppen in der DDR. Offizielle Treffen mit der Freien Deutschen Jugend (FDJ) wurden nicht rein diplomatisch heruntergespult, sondern mit kritischen Diskussionen über die Situation in der DDR. Deshalb ist es auch nicht überraschend, dass die Juso-Hochschulgruppen 1989 eher als andere den Blick für die stärker werdende Bürgerbewegung hatte. Es war ein ehemaliger führender Reformsozialist, Norbert Gansel, der die Formel vom «Wandel durch Abstand» für die Beziehungen zur SED prägte. Während die Juso-Mehrheit noch die Kontakte zur FDJ pflegte, trafen sich ehemalige und aktive Juso-HochschulgrüpplerInnen schon mit Vertretern der neugegründeten SDP. Nach dem 9.November intensivierten sich die Kontakte auf allen Ebenen, die SDP und die Jungen Sozialdemokraten wurden unterstützt. Am 9. Dezember 1989 gründete sich in der DDR der BSDS, der Bund Sozialdemokratischer Studenten, der sich im Januar 1991 mit den Juso-Hochschulgruppen vereinigte.

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