Feminismus und Finanzen – der Einfluss der Hochschulpolitik auf mein politisches Leben

Von Wiebke Esdar

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«Für das Leben lernen wir, nicht für die Schule.»  Wie viel Wahrheit in diesem Satz steckt – das wäre wohl einen eigenen Artikel an anderer Stelle wert. In den nächsten Zeilen soll es darum gehen, wo wir am besten für ein Leben in der Politik lernen: In der Hochschulpolitik. 

Als ich während meines Studiums an der Uni Bielefeld die Hochschulpolitik für mich entdeckte, dachte ich nicht im Traum daran, mein politisches Engagement später einmal zum Beruf zu machen. Rückblickend war die Tatsache, dass ich mich in einer Juso-Hochschulgruppe und in all den Gremien der studentischen und akademischen Selbstverwaltung meiner Universität engagieren konnte, nicht nur eine hervorragende Schule für mein berufliches Leben. Sie hat mein Verständnis davon «wie Politik funktioniert» und davon, wie viel wir gestalten und verändern können, geprägt. Und zwar innerhalb bestehender Strukturen – während wir diese gleichzeitig sehr kritisch hinterfragt haben. Vermutlich war auch das Hinterfragen der bestehenden (Macht-) Strukturen die beste Vorbereitung später politisch handeln zu können. 

Am Ende bin ich raus aus der akademischen Laufbahn und rein in das Leben einer Berufspolitikerin. Aber auch wem diese Chance verwehrt bleibt oder wer es gar nicht für so reizvoll hält hauptberuflich Politik zu machen: Ich bin überzeugt davon, dass das, was wir im hochschulpolitischen Engagement während des Studiums lernen, uns später in jedem Unternehmen, in jeder Organisation, an jedem Arbeitsplatz hilft. Wahrscheinlich mindestens genauso sehr wie manch ein Schein oder Credit Point. Bis heute profitiere ich bei meiner Arbeit im Bundestag noch von den politischen Diskussionen innerhalb der Juso-Hochschulgruppe, der verfassten Studierendenschaft und als deren Vertreterin in Universitätsgremien. 

Dass ich heute als zuständige Berichterstatterin für das BMBF im Haushalt die Finanzen für Bildung, Forschung und Wissenschaft verhandle ist vermutlich kein Zufall: Meine Studienzeit war geprägt von den Auseinandersetzungen um allgemeine Studiengebühren und ihrer Verwendung. 

Der Beginn mein hochschulpolitischen Engagements 

Während meine Schulzeit und mein erstes Studienjahr noch vom Engagement im Schwimmverein geprägt waren, begann im dritten Semester mein kritischer Blick auf das System Hochschule und unsere Studienbedingungen: Im Auslandssemester an der Saint Mary’s University (SMU) in Halifax, Kanada erhielt ich augenöffnende Einblicke in die vielfältigen Möglichkeiten des dortigen studentischen Engagements. Ich bekam ein Bewusstsein dafür, wie einige universitäre Angelegenheiten auch ganz anders als an meiner Heimatuniversität Bielefeld laufen können. Allerdings zahlte ich für das Semester dort auch rund 5.000 Dollar Studiengebühren. 

Ich war überzeugt: Das konnte nicht die Lösung sein. Aber etwas mehr studierendenfreundlichere Strukturen und vor allem mehr Mitbestimmung sollte doch auch so möglich sein. So kam es, dass ich mich nach meiner Rückkehr gemeinsam mit drei Mitstreitern (alle männlich) an die (Wieder-)Gründung der Juso-Hochschulgruppe Bielefeld (Juso-HSG) machte. Eine Juso-Hochschulgruppe hatte zwar in Bielefeld Tradition, war aber aufgrund eines Generationenwechsels vor einiger Zeit zum Erliegen gekommen. 

Kurzerhand beschlossen wir als gerade neu gegründete Juso-HSG für das Studierendenparlament (StuPa) zu kandidieren und errangen bei der Wahl im Sommersemester 2005 tatsächlich zwei Sitze. So war ich plötzlich gewähltes Mitglied des StuPa und fragte mich, wie man nun diese Rolle als Parlamentarierin auszufüllen habe. Wie gründlich müssen die Unterlagen vorher durchgelesen, durchgearbeitet und durchdiskutiert werden? Wie funktioniert der Haushalt? Welche Anträge wollen wir stellen? Gehen wir eine Koalition ein und tragen wir den AStA mit?

Gleichzeitig befand ich mich mitten in den hochschulpolitischen Grundsatzdiskussionen: Was für eine Hochschule wollen wir? Wie können wir patriarchale Strukturen an der Hochschule aufbrechen und Mitbestimmung aller garantieren? Wie können wir die Hochschule demokratisieren? 

Und natürlich diskutierten wir auch allgemeinpolitisch, gesellschaftskritisch: Wie können wir Bildungshürden abbauen? Wie Rassismus bekämpfen? Wie die Gleichstellung der Geschlechter voranbringen? Und natürlich bleibt darum die Forderung nach einem allgemeinpolitischen Mandat des AStA bis heute richtig. 

Wie ich zur Feministin wurde

Ziemlich schnell wurde so auch ich zur Feministin, bin bis heute überzeugte Befürworterin von Quotenregelungen. Das bin ich, obwohl meine erste Begegnung mit der Frauenquote ein recht ein holpriger Start war: Denn noch bevor die Arbeit im StuPa richtig losging, sollte ich bereits ein weiteres hochschulpolitisches Amt übernehmen: So fragte mich die grüne hochschulgruppe offene liste (ghg*ol) noch im Vorfeld der konstituierenden Sitzung, ob ich nicht stellvertretende Vorsitzende des StuPa werden wolle. Ohnehin schon mit neuen Eindrücken und Aufgaben überladen, fühlte ich mich von dieser Anfrage ein Stück weit überrumpelt. Ich lernte die ghg*ol erst im Zuge dieser Anfrage wirklich kennen und niemand (mich eingeschlossen) wusste so wirklich, wie ich das Amt als Mitglied des StuPa überhaupt ausfüllen würde. Meine Skepsis wuchs, nachdem zwar sehr direkt und ehrlich, für mich damals aber eben nicht zufriedenstellende Argumente vorgebracht wurden. Sinngemäß führte die ghg*ol aus: «Mit der Juso-HSG können wir uns vorstellen zusammen zu arbeiten und du, Wiebke, bist eine Frau.» Darum wurde ich gefragt? Das überzeugte mich nicht, sodass in der konstituierenden Sitzung des Studierendenparlamentes kein vollständiges Vorsitzteam gewählt wurde. 

Offen muss ich aber zugeben, dass ich mich bis zur zweiten Sitzung überreden ließ, «es doch mal zu probieren» – auch, wenn ich mit der Rolle der «Quotenfrau» noch ziemlich lange fremdelte. Bis heute stellt sich wohl die Frage: Ist es falsch den StuPa-Vorsitz zu quotieren? Aus voller Überzeugung sage ich NEIN. Ich war damals noch ziemlich unpolitisch in die Hochschulpolitik gestartet. Dieses Beispiel zeigt in meinen Augen, wie wichtig es ist, im politischen Handeln Ziel und Grund mitzukommunizieren. Mein persönliches Erlebnis hat mich damals dazu gebracht, mich intensiv mit Gender-Mainstreaming und der bestehenden strukturellen Benachteiligung von Frauen auseinanderzusetzen. Darum gehe ich heute nicht mehr davon aus, dass es Zufall ist, dass der StuPa-Vorsitz bis dato häufiger aus zwei Männern und einer Frau und nicht aus zwei Frauen und einem Mann bestand. Und es wird auch nicht nur mit Zufall zu erklären sein, dass es damals auch im akademischen Senat bisher keine Frau gab, die Vorsitzende war – geschweige denn eine Rektorin an der Spitze der Universität Bielefeld. Aber wo wir die Benachteiligung von Frauen beklagen, da müssen wir uns auch selbst in die Pflicht nehmen lassen, um das zu ändern. 

Hochschulpolitische Kämpfe im akademischen Senat

Ein Jahr später standen die Wahlen zu eben jenem akademischen Senat an. Ich bewarb mich für die Juso-HSG um einen der vier studentischen Sitze, wurde gewählt und wagte mich zusammen mit den anderen Studierenden an die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Rektorat, der Professor:innenschaft und dem Mittelbau. 

Hilfreich dabei waren die gemeinsamen Vorbesprechungen mit den wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen sowie jenen aus Technik und Verwaltung. Wir trafen uns immer zwei Tage vor der Senatssitzung, um die Tagesordnung durchzusprechen. Parallel dazu tagte die Gruppe der Professor:innen, die über die Mehrheit im Senat verfügte. Mir und vielen von uns ging es bei der Arbeit in den Gremien immer um das Konkrete: darum, zu gestalten, dass sich spürbar etwas verbessert. Oft waren es kleine Dinge. Vieles davon hatte mit der mitunter schleppend laufenden Umsetzung der Bologna-Reformen zu tun. So erinnere ich mich an einen Antrag, der dazu aufforderte, dass Studierende aller Fakultäten endlich ein Transcript of Records für ihr Erasmus-Semester bekommen sollten. Dieser Nachweis über ihre erbrachten Studienleistungen stand allen Studierenden zu. Das war Jahre nach der Einführung der Bachelor-Master-Abschlüsse leider bei vielen Lehrenden noch nicht angekommen. Zum Glück waren damals fast alle ein wenig peinlich berührt, als die Situation geschildert wurde. Folge war, dass unser Antrag eine sehr breite Mehrheit bekam. 

Weil die Mehrheit im Senat qua Statusgruppe bei den Professor:innen festgelegt war, befanden sich die drei übrigen Statusgruppen in der strukturellen Opposition. Das prägte die Form der parlamentarischen Zusammenarbeit. Für mich hieß das: Wir müssen sehr gut vorbereitet sein, beziehungsweise besser vorbereitet sein als die Mehrheit, wenn wir etwas erreichen wollen. Darum bleibt die Forderung nach Drittel- bzw. Viertelparität für die demokratische Hochschule richtig. 

Mit dem «Hochschulfreiheitsgesetz», das 2007 in Kraft trat, veränderten sich Gremien, Hochschulsteuerung und das inneruniversitäre Machtgefüge. Die Hochschulräte kamen hinzu. In der Regel blieb die Studierendenvertretung hier gänzlich außen vor. Darum waren die Jahre, in denen ich Mitglied des akademischen Senats sein durfte, in vielerlei Hinsicht unruhige Jahre. Im Gedächtnis dieser Zeit bleiben aber allem voran die Auseinandersetzungen um die Einführung und Abschaffung der allgemeinen Studiengebühren. Das «Hochschulfinanzierungsgerechtigkeitsgesetz» führte die von der damaligen schwarz-gelben NRW-Landesregierung befürworteten Studiengebühren nicht landesweit ein, sondern eröffnete den Hochschulen die Möglichkeit in eigenen – durch die Senate beschlossenen – Gebührensatzungen bis zu 500 Euro Studiengebühren pro Semester zu erheben. Damit war klar: Die Konflikte zwischen den Studierenden, die sich vornehmlich gegen Studiengebühren aussprachen und den befürwortenden Hochschulleitungen und Professor:innen, wurden von der Politik an die Unis ausgelagert.

Die Auseinandersetzungen an der Uni Bielefeld waren hart. Vor allem außerhalb der Gremien wurde zu kreativen Protestformen gegriffen, die die Stärke des Widerstands gegen die Gebühren unterstrichen. Überall in der Uni hingen Transparente contra Studiengebühren. Der Gebäudetrakt in dem sich die Büros des Rektorats sowie der Senatssaal befanden, war über Wochen von protestierenden Studierenden besetzt. Das war unter anderem auch deshalb notwendig, da die strukturell vorgegebene Oppositionsrolle der Studierenden aufgrund der Mehrheitsposition der Statusgruppe der Professor:innen ein Gefühl der Ohnmacht bei vielen Studierenden auslöste. Zum vollständigen Bild gehört auch, dass rund um die Universität Bielefeld bis in die Stadt hinein leider auch zu Protestformen gegriffen wurde, die auf Zerstörung, Diffamierung und Einschüchterung abzielten. Das war nach meiner damals fest gewonnenen Überzeugung vor allem eins: Nicht zielführend, weil sich politische Positionen nicht durch Angriffe auf private Wohnhäuser oder Brandstiftung ändern. Überzeugen geht anders, Mehrheiten finden auch. 

Erstmals wurden allgemeine Studiengebühren an der Uni Bielefeld 2006 beschlossen. Im Durchschnitt zahlten die Studierenden zu der Zeit rund 270 Euro pro Semester. Die Bielefelder Debatte war damit allerdings nicht abgeschlossen. Sie wurde in mehreren Etappen geführt, weil studentische Klagen gegen die Rechtmäßigkeit der Studiengebührensatzung Erfolg hatten. Beanstandet wurde, dass die Staffelung dem Gleichheitsgrundsatz widersprach. Die Staffelung sah vor, dass für länger eingeschriebene Studierende geringere Beiträge als für neu eingeschriebene Studierende veranschlagt wurden.

Aufgrund der gerichtlichen Entscheidungen sollte im Juli 2007 eine neue Gebührensatzung als Übergangssatzung beschlossen werden. Die darüber beschließende Senatssitzung wurde für mich zur bislang prägendsten demokratischen Erfahrung. Wir, die studentischen Senator:innen, waren geschlossen und grundsätzlich gegen Studiengebühren. Diesen Standpunkt zu vertreten und die andere Seite dafür zu verurteilen, über unsere Köpfe hinweg zu entscheiden, wäre der einfachste Weg der Auseinandersetzung gewesen. Aber was hätte das konkret für die Studierenden geändert, verbessert oder wenigstens abgemildert? So entschlossen wir uns, als Gegner:innen der Studiengebühren zu versuchen, zumindest eine Erhöhung der bestehenden Gebühren zu verhindern.

Trotz bestehender Einigkeit darüber, dass die Hochschulen im Allgemeinen unterfinanziert waren, entstand bei vielen Studierenden der Eindruck, dass die Hochschulen bei der rasant gestiegenen zusätzlichen Finanzierung über Studiengebühren so schnell gar nicht in der Lage sein würden, alle ihre Mittel zweckgebunden und sinnvoll für die Verbesserung der Lehre zu investieren. Darin lagen unser stärkstes Argument und unsere Strategie. Ich besorgte mir die Protokolle und Unterlagen der einzelnen Fakultätskonferenzen, studierte die zentrale Mittelverteilung und verglich den Haushalt der Universitätsbibliothek Bielefeld mit dem anderer Standorte. Kurzum: Ich bereitete mich intensiv auf die anstehende Senatssitzung vor. So intensiv, dass ich wenige Wochen später zu spüren bekam, wie sehr das zulasten meiner Prüfungen ging. Aber es ging ja auch um viel. 

Die Senatssitzung fand – zum wiederholten Male – unter Polizeischutz im abgesperrten Senatssaal statt. Die Stimmung war wie erwartet aufgeheizt, aber dennoch bekam ich zunehmend das Gefühl, dass wir konstruktiv und sachlich diskutierten. Argumentativ waren wir bestmöglich ausgerüstet. Vermutlich waren einige der Professor:innen überrascht, dass einer der wissenschaftlichen Mitarbeiter einen Kompromissvorschlag von 290 Euro einbrachte, den wir argumentativ unterstützten und – trotz unserer grundsätzlichen Ablehnung der Gebühren – bereit waren mitzutragen. Wir eröffneten den Weg zu einem statusgruppenübergreifenden Kompromiss. Nach einer intensiven, mehrstündigen Debatte wurde die Sitzung vor der Abstimmung jedoch noch einmal unterbrochen. Eine Professorin äußerte noch einmal den Wunsch nach einem Beschluss über die Statusgruppengrenzen hinweg. Hoffnung keimte auf.

Nach der Pause war dann allerdings davon nicht mehr die Rede. Wenn auch in geheimer Abstimmung, so wurden mit professoraler Mehrheit – da bin ich mir sicher – 350 Euro Studiengebühren beschlossen. All die Anstrengung hatte sich nicht gelohnt. Am Ende der Debatte kullerten mir tatsächlich ein paar Tränen über die Wangen. Zu bitter war die Enttäuschung darüber, keinen Einfluss nehmen zu können, obwohl wir doch in dieser Debatte aus unserer Perspektive der anderen Seite unendlich weit entgegengekommen waren. 

Für mich bleibt diese Senatssitzung bis heute die bitterste Niederlage meines politischen Lebens. Die Bedeutung von Macht, die Bedeutung von Vorabsprachen, die Schwäche des inhaltlichen Arguments – all das hatte ich vorher nicht ausreichend bedacht. Das habe ich in der Praxis der Studiengebühren-Debatte gelernt. Für mein späteres (hauptberufliches) politisches Leben sollte mir diese Niederlage eine große Lehre sein. Von der Überzeugung, dass es sich lohnt, lange und intensiv um Kompromisse zu ringen, damit Entscheidungen von breiten Mehrheiten getragen werden können, bin ich bis heute nicht abgerückt. Aber zu klugem politischen Handeln gehört eben auch zu erkennen, wenn ‹die andere Seite› kein oder nicht ausreichendes Interesse an einem gemeinsamen Kompromiss hat. Zum Glück sind die strukturell vorgegebenen Mehrheiten in den Hochschulgremien die Ausnahme. Demokratie außerhalb der Hochschule lebt stark von wechselnden Mehrheiten und dem Szenario, Macht verlieren und abgewählt werden zu können. Und das ist gut so. 

Trotz alledem

Dass sich damals erst einmal die Sommerpause anschloss, tat wohl allen Beteiligten gut. 

Bis zur nächsten Sitzung war für mich dennoch klar, dass ich trotz Niederlage in puncto Studiengebühren weiter als studentische Senatorin arbeiten wollte. Wenn jetzt schon das Geld der Studierenden eingenommen würde, so wollten wir doch möglichst stark mitbestimmen, dass es sinnvoll ausgegeben wird. 

Ich ging in die Studienbeitragskommission, die Härtefallkommission und später in die allgemeine Kommission für Finanzen und Ressourcen. Denn: Größte Sorge bereiteten uns die sogenannten ‹Verschiebebahnhöfe›. Wenn die eingenommenen Studiengebühren ausschließlich für die Lehre ausgegeben werden dürfen, müssen wir für eine echte Verbesserung der finanziellen Ausstattung der Lehre auch im Blick behalten, dass sich bei der Grundfinanzierung die Finanzströme nicht allmählich von der Lehre zu Gunsten der Forschung verschieben. Das ist bei der Anschaffung von Lehrbüchern oder anderem zusätzlichem Lehrmaterial einfach zu definieren. Aber oft waren im Sinne der Einheit von Forschung und Lehre die Ausgaben verquickt – sollte es dann einen Finanzierungsanteil aus der Grundfinanzierung geben? Wie wäre das abzubilden? Und wenn wir die Betreuungsrelation am effektivsten verbessern wollen, sollten wir Lehrstellen mit möglichst hohem Lehrdeputat schaffen. Wie aber lässt sich das mit guten Arbeitsbedingungen vereinbaren? 

All diese Fragen müssen nicht hier abgewogen werden. Sie mussten es aber bei jedem Antrag, der sich auf Ausgaben mit Mitteln aus Studiengebühren bezog. Das war für mich am Ende auch ein Teil dessen, was ‹gute Politik› ausmacht: Politik ist dann gute Politik, wenn sie ganz konkret etwas für die Menschen bewegt, gestaltet‚ ihr Leben etwas besser macht. Auch dann, wenn es ‹nur› die eine kleine, bestimmt Gruppe ist – wie die Studierenden an der Uni, an der du die Juso-Hochschulgruppe in Gremien vertrittst.

Parallel dazu setzten die Juso-Hochschulgruppen NRW gegenüber unserer Landespartei durch, dass die Abschaffung der Studiengebühren eins der zentralen Wahlkampfversprechen für die nächste Landtagswahl sein muss. Das war die richtige Stelle, um für die Abschaffung der Gebühren zu kämpfen, denn die Verantwortlichkeit für die Höhe und Art der Hochschulfinanzierung liegt bei den Ländern. Nach einem intensiven Wahlkampf, den wir wie im ganzen Land auch intensiv vor den Bielefelder Hochschulen führten, gewann die SPD die Landtagswahl. Folgerichtig schaffte Hannelore Kraft mit ihrer rot-grünen Minderheitsregierung im Februar 2011 die allgemeinen Studiengebühren wieder ab. Und zwar so, dass die Einnahmen, die die Hochschulen bisher von den Studierenden bekamen, durch Landesmittel kompensiert wurden. Es gab keine Streichungen in den Budgets der Hochschulen, aber die neue Landesregierung setzte einen größeren finanziellen Schwerpunkt bei der Verbesserung der Studienbedingungen als ihre Vorgängerregierung. Wo ein Wille, da ein Weg. Das war richtig gute Politik!

Meine politische Stimme hatte damals an der Uni trotz Niederlage an Gewicht gewonnen. Das lag in meiner Wahrnehmung auch daran, dass ich anschließend mitbestimmen wollte, wofür das Geld ausgegeben wird. Auch, wenn es zu Unrecht eingenommen wurde. Es wäre einfacher gewesen die Einnahmen zu verurteilen und sich auf die Position zurückzuziehen, dass man Studiengebühren nicht legitimieren wolle, indem man sie mitverteilt. Aber wem hätte das geholfen? So habe ich mir in den Augen einiger Gegner:innen von Studiengebühren damals ‹die Hände schmutzig gemacht›. Aber wenn es schon das Geld der Studierenden ist und es für die Studierenden ausgegeben werden soll, dann war und bin ich fest davon überzeugt, dass es auch die Studierenden selbst sind, die am besten wissen, was damit geschehen soll. So stieg ich immer tiefer in die Hochschulfinanzierung ein. Heute bin ich der festen Überzeugung, dass man mit Geld gestalten kann – wie übrigens auch mit dessen Kürzungen. 

Ein Jahr nach der denkwürdigen Sitzung wurde ich stellvertretende Senatsvorsitzende. Das erste Mal in der Geschichte der Universität Bielefeld wurde dieses Amt damit von einer Studentin bekleidet. Das erste Mal von jemandem aus der Statusgruppe der Studierenden; das erste Mal von einer Frau. Aus meiner Perspektive damals ein kleiner Fortschritt zu mehr Gleichstellung an der Uni Bielefeld. Heute gibt es an der Uni Bielefeld eine Vorsitzende des Senats, eine Vorsitzende des Hochschulrats und ab Oktober die erste Rektorin. Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen, aber auch wenn uns der Fortschritt manchmal wie eine Schnecke erscheint – er kann Jahre später deutlich sichtbar werden. 

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