Was haben die Juso-Hochschulgruppen je für uns getan? – Über die gesellschaftliche Relevanz meines Lieblingsverbandes ein subjektiver Glückwunsch

Von Alexandra Ortmann

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In Monty Pythons «Das Leben des Brian» diskutiert eine Gruppe von Revolutionären, was die von ihnen nicht besonders geschätzten Römer je für sie getan hätten. Natürlich nichts, darum müssen sie ja auch weg! Trotz allem kommt man zu dem Schluss: Das Leben ist durch die Römer so ganz praktisch an vielen Stellen besser geworden.

Wer im AStA oder dem Bundeskoordinierungstreffen Tage und Nächte über «Bildung im Kapitalismus» und Herrschaftsverhältnisse diskutiert hat, erkennt sofort, dass diese anekdotische Herleitung natürlich vollkommen schief ist. Die Hochschulgruppen sind nicht der übermächtige Besatzer der Hochschulen – davor bewahrt uns schon die professorale Mehrheit. Oftmals sind die HSGler*Innen eher mit dem Streit beschäftigt, ob sie nun die judäische Volksfront oder die Volksfront von Judäa sind (meistens beides). Sei’s drum – was haben also die Hochschulgruppen je für uns und die Gesellschaft getan?

«Das ist Demokratie – langweilig wird sie nie…»

Wer jemals als HSGler*in aktiv war, weiß was er selbst von diesem Engagement hat: Man erlebt, dass Politik in der Gruppe extrem viel Spaß machen kann, dass man etwas bewegen kann. Man probiert sich aus, lernt im StuPa Reden zu halten und auf BKTs Anträge zu schreiben. Echte Nerds lernen die ambivalente Schönheit von GO-Debatten schätzen, andere entdecken ihr Talent beim Gestalten von Plakaten. Man diskutiert über den Sinn des Lebens und der Welt, man schmiedet Bündnisse, verhandelt Koalitionen und sieht was von der Welt (oftmals in Form von Bahnhöfen und Jugendherbergen, nun ja). 

Viele von uns, die sich im Studium bei den Hochschulgruppen engagiert haben, würden sagen, dass uns die Zeit geprägt hat und uns ein Handwerkszeug – politisch, rhetorisch, analytisch – mitgegeben hat, das man erst nach und nach erkennt. Alle von uns haben in dieser Zeit Freunde fürs Leben gefunden. 

Man kann die Welt verändern – gemeinsam und vor Ort

Juso-Hochschulgrüppler*innen erleben etwas, worum sie von vielen politisch Aktiven beneidet werden: Sie können in den wenigen Jahren ihres Engagements echte Veränderungen hervorrufen. Das revolutionäre Feld der Hochschulgruppen ist dabei die Welt der Gremien. Für Generationen an Studierenden kann es einen Unterschied machen, wie die Rahmenprüfungsordnung aussieht, wann die Bibliothek Schließzeiten hat, welche Vorerfahrungen bei der Zulassung anerkannt werden. Eine fundierte Sozialberatung des AStAs oder eine gute O-Phase sind gerade für Studierende der First Generation wichtig, um sich zurecht zu finden und ein ganz praktischer Beitrag zum individuellen Studienerfolg. Die Aufarbeitung der lokalen NS-Geschichte, ein barrierefreier Campus, Bio-Essen in der Mensa oder ein Semesterticket – Studierende prägen das Leben ihrer Mit-Studierenden. Ganz praktisch, pragmatisch und positiv. 

Nun sind die Juso-Hochschulgruppen aber nicht irgendeine Gruppe an der Hochschule. Sie sind ein bundesweiter Verband, der seit 50 Jahren besteht. Und den die generationsübergreifende Solidarität prägt: Als Neuling bekommt man die Hochschulpolitik erklärt, lernt by doing und gibt dann sein Wissen an die nächsten Neuen weiter. Man tauscht sich bundesweit aus. Ehemalige stehen mit Rat und Tat, als Referent*Innen oder mit Wahlkampfspenden zur Seite – und mit einem Quell nicht enden wollender Anekdoten von «früher». 

Die Welt ein bisschen verändern – die Revolutionen des Alltags

Nun ist es begrüßenswert, wenn einem das Engagement in einem Verband persönlich Spaß und Vorteile bringt. Aber – was hat die Gesellschaft davon? Was tun – um im einleitenden schiefen Bild zu bleiben – die Hochschulgruppen-Römer also für andere und nicht für sich?

Hier kann es keine zwei Meinungen geben: Die Juso-Hochschulgruppen haben erstens einen wesentlichen Anteil daran, dass das Hochschulstudium in Deutschland (wieder) weitgehend frei von Studiengebühren ist. Der Kampf für eine gebührenfreie Bildung gehört in die DNA des Verbandes. Er musste nicht nur gegen konservative und neoliberale Gebührenbefürworter geführt werden. Er musste phasenweise auch in und gegen Teile der SPD geführt werden. Dass die SPD inzwischen in ihrer Position ganz klar ist und gebührenfreie Bildung von der Kita bis zum Meister fordert, ist ein Verdienst der Juso-Hochschulgruppen. Noch wichtiger: Dass die Bundesländer nach und nach von Studiengebühren aller Couleur abrücken mussten. Mit großer Hartnäckigkeit, in breiten Bündnissen und oftmals gegen den Vorwurf der «gestrigen Ideologie» haben die HSGen in Kärnerarbeit für ihre Überzeugung gestritten und gesiegt. Die politische Auseinandersetzung hat Generationen von heute aktiven Politiker*innen und Mandatsträger*innen geprägt – gebührenfreie Bildung ist nun auch Teil ihrer politischen DNA. Egal, ob sie aus der Hochschulpolitik kamen oder nicht. 

Vielleicht weniger präsent, aber extrem wichtig war und ist zweitens die Auseinandersetzung der HSGen mit der «Neuen Rechten.» Heute ist unbestritten, welche Rolle Studentenverbindungen in den Netzwerken der Neuen Rechten spielen – auch hier haben die Hochschulgruppen innerhalb der SPD nachhaltig gewirkt. Der Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Mitgliedschaft in der Burschenschaftlichen Gemeinschaft bzw. Deutschen Burschenschaft musste gegen viel prominente Gegenwehr erwirkt werden. Als die AfD versuchte, an den Hochschulen Fuß zu fassen, hat sich der Verband intensiv mit den Strukturen, Strategien und Inhalten auseinandergesetzt. Vor Ort mögen lokale Antifa-Recherchegruppen eine größere Wirksamkeit haben, aber die bundesweite Vernetzung ist ein Pfund, das hier zum Tragen kam: Man konnte sich schnell austauschen, gegenseitig beraten und das neue Wissen vor Ort umsetzen. In Auseinandersetzungen dieser Art zeigt sich, was «Kein Fußbreit den Faschisten» in stolzer Tradition der Sozialdemokratie heute ganz praktisch bedeutet. Die «Neue Rechte» verändert ihre Strategien und agiert gut informiert und international vernetzt. Unsere wehrhafte Demokratie braucht daher eine fortlaufende Auseinandersetzung mit der Frage, wo Grenzen gezogen und verteidigt werden müssen. Und sie braucht Demokrat*innen, die dies vor Ort auch in die Tat umsetzen. 

Die Juso-Hochschulgruppen waren und sind, drittens, ein Lobbyverein für studentische Interessen im besten Sinne. Ob studentisches Wohnen, die Reform des Hochschulgesetzes, BaFöG oder die Ausgestaltung einer Prüfungsordnung – im engeren Bereich der Hochschulpolitik ist ihre Bedeutung offensichtlich. Wer die Antragsbücher der Bundeskoordinierungstreffen, Plakate und Publikationen der Hochschulgruppen kennt, weiß aber auch, dass sie sich nicht darauf beschränken. Unter dem Schlagwort des «allgemeinpolitischen Mandats» wird der Anspruch erhoben, die studentische Perspektive auch in allgemeinere Fragen einzubringen und in den ASten zu vertreten. Aber gibt es tatsächlich ein homogenes ständisches Interesse aller Studierenden? Die Antwort ist ein entschiedenes Jein. Natürlich ist die Meinung zu allgemeinpolitischen Fragen bei Studierenden heterogen – je nach politischer Ausrichtung. Hier ist es ein natürliches Anliegen eines politischen Verbandes, sich an der Meinungsbildung zu beteiligen. Gleichzeitig haben gerade die letzten Jahre noch einmal gezeigt, dass die Interessen von Studierenden nicht automatisch mitgedacht werden: Was bedeutet das Deutschlandticket für Semestertickets? Wie sichert man Studierende in Corona ab, wenn Nebenjobs wegfallen und das BaföG nicht greift? Studierendenverbände erinnern die große Politik lautstark daran, diese Personengruppe nicht zu vergessen und sie sensibilisieren Studierende dafür, dass die «große Politik» für sie spezifische Auswirkungen hat. 

Die Juso-Hochschulgruppen tragen, viertens, seit 50 Jahren zu einer demokratischen Gesellschaft bei. Sie sind ein politischer Verband, der Generationen von Menschen geprägt und für Politik begeistert hat. Sie kämpfen für emanzipatorische Werte in der Gesellschaft und die Mitbestimmung in den Hochschulen. Sie sind eine Schule der Demokratie. All das, was einleitend als persönlicher Mehrwert des Engagements steht – der Spaß am Gestalten, die GO-Debatten, das Streiten um das bessere Argument -, hat mehr als nur individuellen Nutzen. Hier wird Politik gelernt und Demokratie erlebbar. 

Und zu guter letzt: die Juso-Hochschulgruppen sind ein Jungbrunnen für die altehrwürdige Tante SPD. Sie sind das sozialdemokratische Gesicht an den Hochschulen, sie prägen große Teile neuer Generationen, sie zeigen, was es konkret heißt, für sozialdemokratische Werte einzutreten. Mit dem Öffnungsbeschluss finden viele Menschen über das Engagement zunächst zu den Hochschulgruppen und dann erst später zur SPD. Die Hochschulgruppen liefern gut ausgebildeten und politisch interessierten «Nachwuchs». Und sie zeigen, wie man es schafft, fortlaufend neue Mitglieder zu finden, einzubinden, zu schulen und zu halten. Die SPD tut gut daran, die Hochschulgruppen wertzuschätzen und zu stärken. Und sich das eine oder andere von ihnen abzugucken. 

Die Juso-Hochschulgruppen werden 50 Jahre – und wir alle gratulieren! 

Ich wünsche dem Verband, dass er so lebendig, solidarisch und streitbar bleibt; dass er noch mehr Gehör in der Partei und den Ministerien findet, um seine große Expertise einzubringen; dass er immer am Puls der Zeit bleibt und den Blick auch über den Tellerrand richtet. Und natürlich für alle Engagierten vor Ort: Viel Freude am Gestalten und erfolgreiche Wahlkämpfe! 

Auf die nächsten 50 Jahre!

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