Editorial: Überlegungen zur rechtsextremen Bedrohung in Deutschland und der Welt

Laura Clarissa Loew und Hendrik Küpper

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Während die Ampel-Koalition immer weiter an Rückhalt in der Bevölkerung verliert, eilt die AfD als eine in einigen Bundesländern vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall oder gesichert rechtsextrem eingestufte Partei von einem Umfragerekord zum nächsten. Zwar sind regressive Tendenzen und das Erstarken von Rechtspopulismus und Rechtsextremismus keineswegs ein ausschließlich deutsches Phänomen, der so enorme Aufschwung einer rechten Partei in einem Land mit faschistischer Vergangenheit sollte aber alarmieren und zeigt deutlich, dass die Analyse des Phänomens und daraus abgeleitete Gegenstrategien noch nicht an ihrem Ende angelangt sein können. 

Die gegenwärtige Institutionalisierung des Erinnerns an die Shoah erscheint im Angesicht der rassistischen und antisemitischen Diskursverschiebungen inhaltsleer und konsequenzlos; der Versuch, die AfD in Talkshows argumentativ zu entlarven, hilflos. Mit Blick auf das Erstarken der AfD bedarf es einer kritischen Überprüfung, die voraussetzt, sich mit der Ideologie und der diskursiven Praxis rechter Kräfte auseinanderzusetzen. Bereits 1967 analysierte Theodor W. Adorno in einem Vortrag, den er an der Universität Wien hielt, das Aufkommen eines neuen Rechtsradikalismus und zeigte die Komplexität des Phänomens auf:

«Man sollte diese Bewegungen nicht unterschätzen wegen ihres niedrigen geistigen Niveaus und wegen ihrer Theorielosigkeit. Ich glaube, es wäre ein völliger Mangel an politischem Blick, wenn man deshalb glaubte, daß sie erfolglos sind. Das Charakteristische für diese Bewegungen ist vielmehr eine außerordentliche Perfektion der Mittel, nämlich in erster Linie der propagandistischen Mittel in einem weitesten Sinne, kombiniert mit Blindheit, ja Abstrusität der Zwecke, die dabei verfolgt werden. Und ich glaube, daß gerade diese Konstellation von rationalen Mitteln und irrationalen Zwecken, wenn ich’s einmal so abgekürzt ausdrücken soll, in gewisser Weise der zivilisatorischen Gesamttendenz entspricht. […] Die Propaganda ist vor allem darin genial, daß sie bei diesen Parteien und diesen Bewegungen die Differenz, die fraglose Differenz zwischen den realen Interessen und den vorgespielten falschen Zielen ausgleicht.»1

Wer die AfD oder das Auftreten rechter Kräfte verstehen will, muss also berücksichtigen, dass sich diese nicht allein durch Argumente entkräften lässt, da ihre diskursive Strategie dadurch gekennzeichnet ist, dass Mittel für Zwecke substituiert werden. Die Ideologie und diskursive Strategie rechtsextremer AkteurInnen weltweit weiter zu beleuchten, ist eines der Ziele dieser Ausgabe der «jungen perspektiven». 

Um vor Anfälligkeit für Propaganda und Populismus zu schützen, bedarf es aber auch einer Politik, die rechten Parteien und Bewegungen ihren Nährboden entzieht. Insbesondere die Sozialdemokratie, der es im linken Lager am ehesten zuzutrauen wäre, gesellschaftliche Kraft zu entfalten, muss der voranschreitenden Faschisierung etwas entgegensetzen. Verwurzelt in dem Prozess, der durch das Schröder-Blair-Papier im Jahr 1999 eingeleitet wurde, fortgesetzt durch die Beteiligung an konservativen Regierungen, gipfelt der Profilverlust der Sozialdemokratie heutzutage darin, rechten AkteurInnen nach dem Mund zu reden und rechten Diskursen immer mehr Raum zu geben. Weder vulgärmaterialistische Analysen, die jegliche gesellschaftspolitische Themen als «Identitätspolitik» verunglimpfen, noch rein identitär getragene Analysen von «gesellschaftlicher Kränkung» können Allheilmittel für die gegenwärtige gesellschaftliche Situation sein. Als analytischer Schlüsselbegriff gegen die jeweils einseitigen Betrachtungsweisen könnte hingegen der integrierende Begriff der Emanzipation herangezogen werden, der zwar ideengeschichtlich und historisch in der politischen Linken und insbesondere in der Sozialdemokratie fest verankert ist, in gegenwärtigen Schwarz-Weiß-Betrachtungen aber kaum noch Berücksichtigung findet.  

Die rechtsextreme Bedrohung in Deutschland wird außerdem begleitet von einer Reihe an geopolitischen Ereignissen, die in immer höherer Frequenz und immer näher einschlagen. Der russische Angriff auf die Ukraine, die aserbaidschanische Vertreibung der ArmenierInnen aus Arzach/Bergkarabach und schließlich die mörderische Attacke der Hamas auf Israel entstammen – so unterschiedlich die einzelnen Motivationen individuell betrachtet auch sein mögen – aus ein und demselben Ideenreservoir. Ob autokratische Herrschaft a la Putin, theokratisch-faschistisches Regime im Iran und dessen Schergen oder rechtsradikale Rassisten – sie vereint der Hass auf liberale Demokratien und deren (unterschiedlich erfolgreiche) Versuche, gerechtere Gesellschaften zu erschaffen.

Mit diesen inneren und äußeren Bedrohungen für freiheitliche, gerechte und solidarische Gesellschaften muss sich auch die Sozialdemokratie in den kommenden Jahren auseinandersetzen und Strategien dafür finden, ihre Vorstellungen eines solidarischen Zusammenlebens als Gegenbild dazu zu präsentieren.

In dieser Ausgabe der «jungen perspektiven» blicken wir deshalb aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf den erstarkenden Rechtsextremismus in Deutschland und der Welt. Als roter Faden durch die Ausgabe ziehen sich hierbei die folgenden Leitfragen, auf die jeweils unterschiedlich akzentuiert eingegangen wird: Was erklärt das Erstarken der AfD und anderer rechter Kräfte und wie lässt sich die rechte Ideologie analytisch fassen? Welche politischen Strategien lassen sich aus der Analyse ableiten, um der Gefahr von rechts effizient und nachhaltig begegnen zu können. Und wie äußern sich regressive Tendenzen in anderen Ländern sowie was lässt sich daraus für den Kampf gegen Rechts lernen?  Den Anfang macht die Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen sowie Bundestagsabgeordnete Elisabeth Kaiser. Sie analysiert Gründe für das Erstarken der AfD und plädiert für ein Maßnahmenbündel, um die AfD zurückzudrängen. Im Anschluss daran beleuchtet Helene Franke die Rolle des Geschlechts im Rechtsextremismus und Johanna Liebe weist auf die Gefahren von Burschenschaften hin, die als Elitenkader für rechte Akteure wie die AfD und die FPÖ fungieren. Auf Gefahren im Umgang mit Rechts geht auch Natalie Maurer ein, die anhand der Wahlen in Hessen deutlich macht, dass Diskursverschiebungen nach rechts im Hinblick auf die Migrationspolitik vor allem konservativen und rechten Kräften helfen. Die Artikel von Jan Hillgruber und Liliia Sablina weiten den Blick über Deutschland hinaus und beleuchten Melonis politisches Agieren in Italien bzw. die extreme Rechte in Russland mitsamt ihrer europäischen Netzwerke.

Julius Reim plädiert zum Abschluss dieser Ausgabe in seinem Artikel dafür, dass ein linkes Verständnis von Antifaschismus notwendigerweise Kritik am Antisemitismus und Solidarität mit Israel beinhalten müssen. An dieser Stelle möchten wir als Redaktion auch ausdrücklich unterstreichen, dass wir diese Position im Sinne des emanzipatorischen und universalistischen Leitbilds der «jungen perspektiven» ausdrücklich unterstützen. Eine Linke mit einem emanzipatorischen, universalistischen Anspruch muss in der Lage sein, den islamistischen und antisemitischen Terror zu verurteilen – auch das ist Teil des Kampfes gegen Rechtsruck und Faschismus.

Ebenfalls zu den «jungen perspektiven» gehören die Besprechungen von Lina-Marie Eilers und Lukas Marvin Thum, denen wir an dieser Stelle auch ganz herzlich für die redaktionelle Mitarbeit an dieser Ausgabe danken wollen. Des Weiteren sind auch die Artikel von Madita Lachetta sowie Luisa Klatte und Charlotte Rathjen in der Hochschulrubrik Teil der «jungen perspektiven». Ebenso wie der Bericht zum 50. Geburtstag der Juso-Hochschulgruppen, den wir im letzten Heft mit einer Sonderausgabe begleitet haben, von Thekla Mühlpfordt. Hieran knüpft auch der Artikel von Dagmar Schlapeit-Beck an, der sich mit dem Ausgangspunkt des Feminismus bei den Juso-Hochschulgruppen beschäftigt. Dieser konnte aufgrund von technischen Schwierigkeiten leider nicht – wie ursprünglich geplant – in der letzten Ausgabe veröffentlicht werden, wofür wir uns an dieser Stelle noch einmal entschuldigen möchten. 

Wir möchten außerdem darauf hinweisen, dass die Homepage und der Instagram-Account der «jungen perspektiven» seit dieser Ausgabe wieder regelmäßig bespielt werden, dafür danken wir Lukas Marvin Thum. Sie finden uns künftig auch im Internet unter: http://www.junge-perspektiven.de/ oder auf Instagram unter: @jungeperspektivends.

1 Theodor W. Adorno: Aspekte des neuen Rechtsradikalismus. [1967] Berlin 2019, S.22 f.

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