Verunsicherung und Rechtsruck in Krisenzeiten

Elisabeth Kaiser

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Verunsicherung und Rechtsruck in Krisenzeiten

Vor nunmehr 11 Jahren wurde die AfD gegründet und vergiftet seither das politische und gesellschaftliche Klima in unserem Land. Die einstige Anti-Euro- und Professoren-Partei häutete sich von Jahr zu Jahr vom marktradikalen Neoliberalismus hin zum völkisch-rassistischen Nationalismus. Ihr Zuspruch in der Wähler:innenschaft nimmt trotz oder gerade deswegen bis dato zu. Dass eine vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall oder gesichert rechtsextrem eingestufte Partei in dieser Größe eine solche Popularität erlangt, ist ein Fanal in der Geschichte der Bundesrepublik – nicht einmal acht Jahrzehnte nach dem Ende des faschistischen Deutschlands. Doch warum gewinnt die AfD immer öfter Stimmen und wie können wir das Ruder rumreißen?

Die multiplen Krisen der letzten vierzehn Jahre in Europa mehren das Gefühl der Verunsicherung und sind ein Motor für den Populismus der AfD. Parallel dazu versucht die Union mit Krawallkonservatismus und Identitätssuche ihr Lager zusammenzuhalten. Gerade im Osten wird das immer schwieriger, denn hier dient sich die AfD als neue Fundamentalopposition an, die ihre Klientel aus den Reihen von CDU bis LINKE anwirbt. Währenddessen weitete die Partei auch im Westen ihre Stimmenanteile aus und kann dabei auf bestehende, historisch gewachsene rechte Einstellungen setzen, die unter dem Radar liefen. Das politische Potpourri der AfD entfaltet mittlerweile eine Anziehungskraft weit über das rechtsextreme Milieu hinaus und ist anschlussfähig für Protest-Wähler. Die «Anti-Alles-Partei» kann so trotz fehlender Sachkompetenz und zahlreicher Skandale, trotz interner Zerwürfnisse und attestiertem Rechtsextremismus Erfolge erzielen und erste Ämter erringen. In Teilen der Bevölkerung und Kommunalpolitik ist die Brandmauer mehr als brüchig. Doch der Rechtsruck ist kein Selbstläufer. Die Verunsicherten lassen sich zurückholen in die demokratische Mitte: mit Haltung, sozialdemokratischen Angeboten und einem langen Atem.

Epoche multipler Krisen

Die Krisenzeiten in Europa und Deutschland haben sich verdichtet. Während diese für die Regierungen und demokratischen Oppositionsparteien Auftrag sind, Gesellschaft und Wirtschaft zu stabilisieren, waren sie für die AfD Anlässe, zu polarisieren und zu spalten. Die Eurokrise 2009, welche auf die Banken- und Wirtschaftskrise in den beiden Jahren zuvor folgte, war gar ihr Gründungsmythos als «eurokritische» Partei im Jahr 2013. Die «Alternative» war die reaktionäre Antwort auf Angela Merkels «Alternativlosigkeit», mit der sie ihre Unterstützung für den Euro-Rettungsschirm begründete, der unter anderem die Zahlungsfähigkeit von Griechenland und Irland und letztlich die Stabilität des Euros sicherte. Mit diesem Anti-Europa- und Zurück-zur-D-Mark-Kurs holte die AfD nur wenige Monate nach ihrem Bestehen bei der Bundestagswahl schon 4,7 Prozent und verpasste nur knapp den Einzug in den Bundestag. 

Zwei Jahre darauf stand bereits die nächste Herausforderung für die Europäische Union und die Bundesrepublik an. Insbesondere der Bürgerkrieg in Syrien sorgte 2015 und 2016 für die größte Fluchtbewegung nach Deutschland seit mehr als 20 Jahren. Insgesamt mehr als 1,2 Millionen Menschen stellten in den beiden Jahren in Deutschland Asylanträge. Die Verteilungs- und Finanzierungsfrage war in aller Munde. Der einschwörende Satz «wir schaffen das» der damaligen Bundeskanzlerin avancierte zum neuen Aufreger für Rechtsaußen. Mit einer immer stärker werdenden flüchtlings- und islamfeindlichen Fokussierung suchte die AfD den Schulterschluss mit der Pegida-Straßenbewegung und konnte schon 2014 in die Landtage von Sachsen, Brandenburg und Thüringen einziehen – noch heute das Kerngebiet der Partei. Der Nachhall der Flüchtlingskrise bescherte der AfD 2017 den Einzug in den Bundestag, wobei sie sich mit 12,6 Prozent mehr als verdoppelte. Ein Jahr darauf kam sie in Umfragen sogar auf 18 Prozentpunkte.

Ab 2020 sollte sich die Welt dann zusehends im Griff von Covid-19 befinden. Die Coronakrise sorgte auch in Deutschland für steigende Todeszahlen. Die Pandemie und die Maßnahmen, mit denen der Ausbreitung des Virus begegnet wurde, trafen Bevölkerung und Unternehmen hart. Eine bisher nicht gekannte Wirtschaftskrise war die Folge. Die Bundesregierung reagierte darauf mit Unterstützung von über 170 Milliarden Euro für Unternehmen, Selbstständige und Arbeitnehmer. Die AfD gerierte sich zwar als «Freiheitspartei», doch konnte sie damit in der Breite nicht Punkten. Während die Rechtsaußen vor allem im Corona-Leugner-Milieu der «Querdenker» mobilisierten, genossen die staatlichen Corona-Hilfen und Pandemie-Maßnahmen das Vertrauen und den Rückhalt in weiten Teilen der Bevölkerung. Diese Gemengelage führte erstmals dazu, dass die AfD trotz Krisenstimmung bei allen vier Landtagswahlen im Jahr 2021 in West wie Ost deutliche Verluste erlitt. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz landete sie wieder unter der Zehn-Prozent-Marke. In Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern schaffte sie noch 20,8 (-3,5) bzw. 16,7 (-4,1) Prozent. Die Konzeptlosigkeit der AfD schlug auch zur Bundestagswahl durch, bei der die AfD auf 10,3 Prozent abrutschte. Statt Populismus waren Solidarität und Respekt die Schlagwörter, mit denen wir als Sozialdemokrat:innen zur stärksten Kraft gewählt wurden und eine Mehrheit der Gesellschaft für die Fortschrittskoalition votierte.

Kaum hatten sich die Märkte und Gesellschaften von der Pandemie erholt, sorgte Putin mit dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine für den nächsten Krisenherd in Europa. Um politischen Druck auszuüben, stellte der russische Staatskonzern Gazprom seine Erdgaslieferungen nach Deutschland bis September 2022 gänzlich ein; zuvor waren schon andere EU-Staaten von den Lieferstopps betroffen. Die eintretenden Engpässe und steigenden Energiepreise sorgten in Deutschland und Europa für die größte Energiekrise seit der Ölkrise in den 1970er Jahren. Diese löste eine Preisspirale aus, die das wiedervereinigte Deutschland noch nicht kannte. Um die steigenden Kosten für Privathaushalte und Unternehmen abzufedern, brachte die Bundesregierung ein ganzes Bündel an Maßnahmen auf den Weg. Insgesamt drei Entlastungspakete im Umfang von rund 100 Milliarden Euro sollten die Inflation abmildern. Von Energiepreispauschalen, über umfassende Steuerentlastungen und der Übernahme eines Monatsabschlags bis zur Gas- und Strompreisbremse. Das 9-Euro-Ticket wurde erprobt und in das Deutschlandticket überführt. Mit der Umstellung auf Flüssiggas aus anderen Lieferländern und vollen Gasspeichern konnte außerdem die Versorgungssicherheit wiederhergestellt werden, die im vorangegangenen Winter in Frage stand. Das führte mit zum Rückgang der Energiepreise und Inflationsraten. Gleichwohl hatte sich die Teuerungsrate 2022 mit 7,9 Prozent mehr als verdoppelt. Auch wenn die Inflation mittlerweile wieder abflaut und um Vorkrisenwerte changiert, hat die Preisspirale vor allem Haushalte mit geringen Einkommen hart getroffen, von denen viele sogar bei Lebensmitteln sparen mussten. Ende 2022 hatte sich die finanzielle Lage von fast der Hälfte der Bevölkerung verschlechtert. Im Schatten der Energie- und Ukrainekrise zog die nächste Flüchtlingskrise auf. Neben den 1,1 Millionen Flüchtlingen aus der vom Krieg gebeutelten Ukraine nahmen die Asylanträge allgemein wieder deutlich zu; zusammengerechnet haben in den letzten beiden Jahren mehr Menschen in Deutschland Zuflucht gesucht als 2015/2016. In der Bevölkerung wird Zuwanderung und Flucht schließlich erneut als wichtiges Problem wahrgenommen, das 44 Prozent der Befragten im Oktober 2023 in einer Infratest-Erhebung benannten. Inflation und Energiepreise sowie Frieden werden noch von einem Zehntel als größte Herausforderung empfunden.

Die Kumulation der drei Krisen verschafft der AfD erneut Auftrieb. Mit Pro-Russland-Agitation, Atomkraft-Rückkehr und Anti-Flüchtlings-Rhetorik hat sie seit dem Herbst bei Umfragen zur Bundestagswahl die 20-Prozent-Marke gerissen. In den ostdeutschen Bundesländern sehen die Demoskopen sie sogar durchgängig über 30 Prozent. Bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern konnte die Partei kräftige Gewinne einfahren, wie ein Jahr zuvor schon in Niedersachsen. Und das trotz fehlender Sachkompetenzen und anhaltender interner Zerwürfnisse. 

Zwischen Verunsicherung, Protestreaktion und Rechtsextremismus

Die multiplen Krisen haben vor allem eines: in der Bevölkerung für große Verunsicherung gesorgt. Millionen Menschen waren direkt von Preissteigerungen betroffen. Gerade in Ostdeutschland, wo die Einkommen niedriger und die Ersparnisse gering sind, schlägt sich dies im Stimmungsbild nieder. Und unter denjenigen, die trotz höherer Kosten noch gut dastehen, breiten sich Abstiegsängste aus. Verstärkt durch die Transformationserfahrungen der Neunzigerjahre sind diese in den neuen Bundesländern nochmals ausgeprägter.

Die Mitte-Studie 2022/2023 der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt zwar, dass sich etwa ein Drittel der Bevölkerung individuell mindestens stark von den Krisen betroffen fühlt. Allerdings empfinden über 40 Prozent Unsicherheit. Und je allgemeiner die Lageeinschätzung, desto mehr steigt diese Sorge. Die Bundesrepublik sieht sogar mehr als die Hälfte der Befragten durch Krisen getroffen. Ängste und Sorgen vor sozialem Abstieg, finanziellen Nöten, wirtschaftlichen Turbulenzen und Frieden sind ergo ebenso relevant für das Sicherheitsgefühl wie die faktische ökonomische Lage. Dies führt auch zum Gefühl politischer Machtlosigkeit, das mittlerweile fast 40 Prozent der Bevölkerung teilt. Und trotz der umfassenden Krisenmaßnahmen der Bundesregierung haben nur noch die Hälfte der Befragten Vertrauen in staatliche Institutionen. 

Verschärft wird dies u.a. von der Debatte um die Klimafrage. So sind ebenfalls 40 Prozent der Meinung, dass die Energiewende derzeit nicht finanzierbar sei. Etwas über ein Viertel will Russland wieder als Energielieferanten gewinnen und 21 Prozent sehen Klimaschutz gar als «Ökoterrorismus gegen die Bevölkerung».

Dies alles birgt Potential für regressive Protesthaltungen, Abkehr von demokratischen Haltungen und Anfälligkeit für Populismus. Der Thüringen-Monitor 2022 offenbarte exemplarisch, dass sich im Freistaat – als eine Hochburg der AfD – mittlerweile fast 60 Prozent als populistisch beschreiben. Etwa ebenso viele finden, dass es Zeit wäre, «Wiederstand gegen die aktuelle Politik zu leisten»; 2021 waren es noch 37 Prozent.

Ebenso besorgniserregend ist der bundesweite Höchststand an rechtsextremen Einstellungen. Acht Prozent haben mittlerweile solch ein geschlossenes Weltbild. Der Wert hat sich damit im Vergleich zur vorangegangenen Mitte-Studie fast verfünffacht. Zusammen mit dem «Graubereich» teilen sogar 28,4 Prozent rechtsextreme Positionen, mehr als doppelt so viele wie noch zuvor.

Zehn Jahre AfD: Populismus- und Radikalisierungsmaschinerie

Die AfD nutzt die Verunsicherung, um diese zu verstärken und Ängste und Sorgen in Wählerstimmen zu überführen. Dass deren Bundestagsabgeordneter Harald Weyel im Herbst 2022 meinte, dass der Winter angesichts der Energiekrise «hoffentlich» dramatisch werde, spiegelte dies eindrücklich wider. Gegenwärtig ruft die Partei das ab, was sie seit ihrem Bestehen einstudiert und in die Bevölkerung getragen hat: populistische, rassistische und rechtsextreme Rhetorik und Einstellungen.

Dabei vereinfacht die AfD komplexe politische Sachverhalte und deutet sozial-ökonomische Problemstellungen in kulturell-identitäre Fragen um, auf der sie autoritäre und demokratiefeindliche Antworten anbietet. Sei es Alice Weidels bekannte Hetze gegen Muslime und Asylsuchende: «Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern.» Das Beklagen einer angeblichen «Meinungs- und Coronadiktatur» von «Lügenpresse» und «Altparteien», mit der sie das Gefühl der Bevormundung und des Abgehängtseins verstärken. Oder Slogans wie «Geht’s noch Brüssel? Diesel retten!» und «Erst frieren wir für den Frieden, dann fürs Klima», die gegen Ukraine-Unterstützung und Klimawende polarisieren. 

All das transportiert die Partei über eine massive Materialschlacht in Wahlkämpfen und durch ihre Online-Propagandamaschinerie. Insbesondere finanziert durch gute Beziehungen zu einzelnen Unternehmern und Spenden, die u.a. mehrere Skandale mit sich brachten. Im Bundestag gibt die AfD im Jahr 1,15 Millionen Euro für Öffentlichkeitsarbeit aus und damit mehr als alle anderen Fraktionen. Auf den Social-Media-Plattformen erreicht die Partei mittlerweile einen Anteil von 41 Prozent unter der Followerschaft von Parteien und belegt Platz eins.

Mit diesem Populismus- und Kommunikationskonzept mobilisiert die Rechtsaußenpartei gleich dreifach: Verunsicherte, Protestwähler und Rechtsextreme. So wird die Partei trotz und wegen ihrer Radikalität gewählt. Im thüringischen Sonneberg beispielsweise konnte die AfD somit den ersten Landrat und in der Gemeinde Raguhn-Jeßnitz (Sachsen-Anhalt) erstmals einen hauptamtlichen Bürgermeister stellen.

Langer Atem: Verunsicherte zurückholen 

Doch Umfragen des ARD-Deutschlandtrends offenbaren, dass die Hälfte der Wählerschaft nicht aus rechten Milieus kommt. Vereinfacht gesagt: Die AfD lässt sich theoretisch mindestens halbieren, auf den Wert der letzten Bundestagswahl. Das ist auch am Abschwung der AfD in der Coronakrise und dem Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde in Schleswig-Holstein zu sehen, wo die Partei 2022 wieder aus dem Landtag flog. Bei den Kommunalwahlen 2023 im Landkreis Dahme-Spreewald, in Bitterfeld und Nordhausen scheiterte die AfD ebenfalls am Wählervotum.

Die Lehren daraus: um die AfD zurückzudrängen, braucht es ein ganzes Bündel an Maßnahmen. Erstens muss die Brandmauer nach rechts gehalten werden, um deren Versuch, die Diskurshoheit zu erlangen, zu vereiteln. Zweitens bedarf es einer starken Zivilgesellschaft, die selbstbewusst Widerspruch gegen rechtsextreme und demokratiefeindliche Parolen artikuliert. Und drittens müssen wir Verunsicherung begegnen und Vertrauen zurückgewinnen. Das heißt Krisenängste wahrnehmen und die konstruktiv-solidarische Handlungsfähigkeit des Staates im Modus multipler Krisen versichern. Komplexe politische Prozesse und Entscheidungen müssen erklärt und kommuniziert werden, was auch einer Ausweitung aufsuchender politischer Bildung bedarf. Außerdem gilt es insbesondere dort sozialdemokratische Deutungen anzubieten, wo die AfD mit populistischen Vereinfachungen und kulturell-identitärer Verklärung selbstreferentielle Meinungsräume schafft. Im lebensweltlichen Alltag gleichermaßen wie in sozialen Online-Netzwerken. Das braucht Ausdauer, viel Engagement und Ressourcen.

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