Wissenschaft und Politik im Spannungsverhältnis der Wissensgesellschaft

Madita Lachetta

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In einer Demokratie braucht es verlässliche Wissenschaft und Forschung. Besonders wenn Rechtsextreme, Rechtsnationale und Rechtspopulist*innen das schwindende Vertrauen in die Politik für ihre Zwecke ausnutzen. Spätestens mit der Corona-Pandemie sollte auch allgemein gesellschaftlich deutlich geworden sein, dass das Verhältnis von Politik und Wissenschaft in einem Spannungsfeld steht. Im Jahr 2022 gaben zwei Drittel der Befragten an, auf die Wissenschaft zu vertrauen, während ein Drittel angab, unentschieden zu sein oder der Wissenschaft nicht zu vertrauen. Seit April 2020, mit Beginn der Corona-Pandemie, hat das Vertrauen in die Wissenschaft immer weiter abgenommen.1 Diese Wissenschaftsskepsis wird von Rechtsextremen und Rechtspopulist*innen erzeugt und für ihren Populismus instrumentalisiert.
Besonders problematisch ist dies, wenn politische Konflikte zunehmend als Wissenskonflikte ausgetragen werden. Denn dann nimmt die Auseinandersetzung mit der Wissenschaft eine besondere gesellschaftliche Stellung ein, weil die Möglichkeit zur politischen Partizipation einen gewissen Wissensstand und eine sogenannte epistemische Autonomie voraussetzt. Epistemische Autonomie lässt den Menschen Wahrheiten erkennen und ermöglicht aktive Erkenntnisgewinnung. Der Autonomiebegriff beschreibt an der Stelle, vereinfacht ausgedrückt, eine Form des eigenständigen Denkens und Urteilens. Fällt die epistemische Autonomie bei Personen eher gering aus, werden Personen vom politischen Geschehen auf diese Weise ausgeschlossen. In einer Gesellschaft, in der sich Menschen in Extremfällen gänzlich von der Wissenschaft abwenden, könnte das die Gesellschaft in «Wissende» und «Unwissende» spalten. Mit diesem Verhältnis von Politik und Wissenschaft in der Wissensgesellschaft soll sich der Beitrag auseinandersetzen und dabei besonders die aktuellen Überlegungen von Alexander Bogner sowie die früheren Überlegungen von Ottfried Höffe beleuchten und heranziehen. 

So vertritt Alexander Bogner in seinem Buch Die Epistemisierung des Politischen. Wie die Macht des Wissens die Demokratie gefährdet die These, dass sich der politische Diskurs zunehmend verwissenschaftlicht.2 Er führt den Begriff der Epistemokratie3 ein. Die Idee hinter diesem Begriff ist, dass politische Probleme als Wissenskonflikte ausgetragen und auch als solche gelöst werden. Dieses Politikverständnis setzt Wissenschaft und Politik in ein besonderes Verhältnis. 

Politik und Wissenschaft – ein Abhängigkeitsverhältnis

In Deutschland steht die Wissenschaftsfreiheit unter besonderem Schutz, festgeschrieben im Grundgesetz in Artikel 5 Absatz 3 Satz GG: «Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei». Durch diese Festschreibung ergibt sich ein politisches Verhältnis von Staat und Wissenschaft. Wissenschaft und Politik stehen in einem Abhängigkeitsverhältnis. Dieses äußert sich darin, dass die Politik für den Staatshaushalt verantwortlich ist, der die Forschung finanziert. Politik ist hingegen vom Erkenntnisgewinn der Wissenschaft abhängig. Das Abhängigkeitsverhältnis könnte auch als arbeitsteiliges Verhältnis beschrieben werden. Wissenschaft beschafft Informationen und Politik verwertet diese. Sie profitieren von der Arbeit des jeweils anderen, die Wissenschaft von den finanziellen Mitteln und dem gesetzlichen Schutz und die Politik von der Informationsbeschaffung durch Wissenschaft und Forschung.
Die Verbindung der Felder Politik und Wissenschaft lässt sich in den vergangenen Jahren mit Blick auf die Bewältigung der Corona-Pandemie praktisch nachverfolgen. Wissenschaft und Forschung waren für die politische Entscheidungsfindung während der Pandemie essentiell. Forschung hat beispielsweise mit der Impfstoffentwicklung dazu beigetragen, die Pandemie einzudämmen und schlussendlich zu überwinden. Gesellschaftlich wurde während der Corona-Pandemie von Wissenschaft und Forschung erwartet, schnelle und effiziente Lösungen sowie Strategien für die Bekämpfung des Virus zu finden. Damit ging auch eine wachsende gesellschaftliche Erwartungshaltung einher, die Transparenz und in gewissem Maße einen Wunsch an Unfehlbarkeit der Wissenschaften einforderte. 

Wissenschaft ist als Prozess des Erkenntnisgewinns zu verstehen. Hervorzuheben sei hier besonders der Charakter der Prozesshaftigkeit von wissenschaftlicher Praxis. Wissenschaftliche Theorien müssen falsifizierbar sein, um durch Forschung und deren Ergebnisse entweder verifiziert oder falsifiziert zu werden. Das wissenschaftliche Kernanliegen bleibt hierbei, Wahrheitsfindung zu betreiben und aufkommende Fehler zu korrigieren. Wissenschaftsfreiheit muss also den Anspruch haben, dass der Wissenschaft innerhalb des Theoriebildungs- und später auch Forschungsprozesses die Möglichkeit zur Entfaltung, aber auch die Möglichkeit zu potentiellen Revisionen und Korrekturen gegeben wird.  Einen absoluten Wahrheitsanspruch an die Wissenschaft zu stellen, nimmt ihr ihre Progressivität.  Im Umkehrschluss muss jedoch kritisch hinterfragt werden, ob die Wissenschaft selbst ihrem Anspruch an Transparenz gerecht werden kann. Zu einer transparenten Arbeitsweise gehört nicht nur das Publizieren der Ergebnisse, sondern auch deren Zugänglichkeit  auf niedrigschwelliger Ebene. 

Die schlussendliche Verantwortung liegt dabei in der Politik. Aus demokratietheoretischer Sicht ist dies auch so gewollt, da Wissenschaftler:innen keine repräsentative und gewählte Volksvertretung bilden.

Wissensgesellschaft ohne Emotionen und Werte? 

Für Bogner kann vor dem Hintergrund dieser Gegebenheiten sogar von einer «Wissensgesellschaft»4 und von einer «Intellektualisierung des Lebens»5 gesprochen werden. Beide Begriffe beziehen sich darauf, dass gesellschaftliche wie auch politische Probleme als Wissensprobleme angegangen werden. Die emotionale Komponente, die solchen Problemen zusätzlich inhärent ist, bleibt dabei größtenteils unbeachtet. Probleme ausschließlich als Wissensprobleme zu deklarieren bedeutet also auch, ihre Lösung allein epistemisch anzugehen.

Wissen kann zwar Sicherheit und Neutralität wahren. Diese wissenschaftliche Neutralität steht jedoch oftmals auch mit Emotionalität im Widerspruch. Faktisches Wissen kann weder positiv noch negativ bewertet werden, um an diesem etwas zu ändern. Es bietet den Menschen einen neutralen Anhaltspunkt und kann als Werkzeug bspw. in der Politik verwendet werden. In seiner Verwertung lässt sich Wissen mit Emotionalität verbinden. Emotionen werden in der Politik instrumentalisierend eingesetzt, um von den eigenen Positionen zu überzeugen. Wer allerdings auf der Grundlage von Wissen oder auch vermeintlichem Unwissen politisch streitet, die*der kann davon ausgehen, dass es sich um einen Konflikt handelt, der auf einer neutralen Basis ausgetragen wird. Emotionen und Werte spielen in dieser Diskussion in der Regel keine Rolle. Man könnte also davon ausgehen, dass ausgehend von dem Konflikt eine sichere Lösung gefunden wird, die rational als akzeptabel bewertet wird. Nun handelt es sich bei Politik allerdings grundsätzlich nicht um ein rein rationales Handlungsfeld. Bei politischen Konflikten handelt es sich immer um Wertekonflikte. Ein Problem wird von den verschiedenen Parteien aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Anhand ihrer Werte und deren Abstufungen finden Parteien also unterschiedliche Lösungsansätze. 

Allerdings ist Unvoreingenommenheit auch in der Wissenschaft unmöglich. Denn wenn Wissenschaft sich auf politisches Terrain begibt, ist sie moralischen Standards unterworfen. Ungeachtet dessen sollte der Wissenschaftsethos eine ergebnisoffene Prüfung wissenschaftlicher Erkenntnisse beinhalten. Dabei sind konstruktive Diskussionen innerhalb der Forschungsgemeinschaft und darüber hinaus förderlich und wünschenswert. Konstruktive Kritik schränkt Wissenschaft nicht ein, sondern kann sie im besten Fall erweitern und das (vorläufige) endgültige Forschungsergebnis stärken und präzisieren.

Verantwortung und Wissenschaft  

Auch Publikationen und der damit eingehende Publikationsdruck in der Wissenschaft beeinflussen den wissenschaftlichen Output und die Politisierung der Wissenschaft. Zum aktuellen Zeitpunkt sind Publikationen Zielindikatoren, die als Maßstab für die Qualität der Forschung gelten. Wenn Forschende ihre Publikationen in Journals veröffentlichen wollen, dann müssen sie die Publikationswahrscheinlichkeit mit einberechnen und zwingenderweise damit auch bewerten, welche Forschungsrichtung interessant für das jeweilige Journal wäre und welche die meiste Aufmerksamkeit bekommen würde. Auf diese Weise schränkt der Publikationsdruck die Wissenschaftsfreiheit ein, woran man ebenfalls sehen kann, dass Wissenschaft nicht wirklich neutral und von außen unbeeinflusst stattfindet.

Allerdings garantiert die Wissenschaftsfreiheit der Gesellschaft auch, dass Forschung unabhängig stattfindet, also zunächst unabhängig von Moral, wie es auch Ottfried Höffe 1993 in seiner Auseinandersetzung mit der Wissenschaft verdeutlichte.6 Das bedeutet jedoch wiederum, dass Wissenschaft sich an keine konkreten Wertestandards halten muss und mehrheitlich unabhängig davon agieren kann. Es gilt also, dass Wissenschaft und Forschung zwar in gewissem Maße für die Gesellschaft agieren, aber nicht in ihrem Interesse handeln müssen. Doch auch wenn Forschung wertfrei sein sollte, kann sie sich davon allerdings, wie oben bereits in anderen Worten erwähnt, nie gänzlich lösen. Dies lässt die Menschlichkeit der Forschenden nicht zu. Wenn wir uns also die Frage stellen, ob politische Probleme als Wissensprobleme behandelt werden sollen, dann müssen wir uns auch mit der Frage nach der Moral – zumindest ansatzweise – beschäftigen. Mit der Frage nach Moral geht auch die Frage nach Verantwortung einher. Wenn Wissenschaft stärker in die Politik mit einbezogen würde, dann käme ihnen gleichzeitig eine größere Verantwortung zu. Höffe schreibt in diesem Kontext, «Verantwortung setzt ein Subjekt, dass sie trägt voraus»7 und, dass Wissenschaft aber «ohne Subjektcharakter»8 sei. Einzelne Forscher*innen trügen die Verantwortung, aber nicht die Wissenschaft selbst.9 Dieser These lässt sich allerdings entgegenstellen, dass der Staat dieser Logik zufolge auch keine Verantwortung tragen könne. Zustimmungsfähig ist, dass Verantwortung letztendlich bei Personen und nicht bei Institutionen liegt. Die Institutionen jedoch sind nur eine Verkörperung der Personen, die sich ihr zugehörig fühlen und die sie bilden. Insofern sind die Institutionen, bestehend aus Personen, doch in gewisser Weise Verantwortungsträgerinnen als Körperschaft von größeren Personengruppen.

Diese Auffassung von Verantwortung in der Wissenschaft lässt außer Acht, dass Forschung in ihrem Prozess durchaus absehen kann, inwiefern ihre Ergebnisse Auswirkungen auf unsere Welt haben. Sie können nicht gänzlich jegliche Verantwortung von sich weisen. 

Schlussfolgerungen

Wissenschaft als epistemische Autorität legt also das Fundament für mögliche politische Entscheidungen. Gewonnene wissenschaftliche Erkenntnisse beeinflussen Politiker:innen in ihrer Entscheidung zwar, aber die finale Antwort auf das politische Problem wird anhand von Werten getroffen. 

Demokratie ist zudem keine Selbstläuferin. Diese durchaus plakative Aussage muss sich ständig vor Augen geführt werden. Konkret bedeutet das für unsere Gesellschaft, dass Demokratie stetig gestärkt und geschützt werden muss. Die Wissenschaft leistet hier ihren Beitrag, indem sie für die Gesellschaft forscht und für das Gemeinsame ihre Leistung erbringt. Politische Arbeit braucht eine fundierte Faktenlage und muss somit mit Wissenschaft zusammenarbeiten. Wenn es um die Stärkung des Vertrauens in die Politik geht, dann ist eine transparente und verständliche politische Kommunikation in die Gesellschaft hinein unerlässlich. Für eine wehrhafte Demokratie braucht es größtmögliches Vertrauen in die politischen Institutionen und den politischen Willen, Bürger:innen politische Teilhabe maximal zu ermöglichen.

1 Vgl. Wissenschaft im Dialog am 8. Dezember 2022: «Wie sehr vertrauen Sie Wissenschaft und Forschung?» [Graph]. URL: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1193534/umfrage/vertrauen-in-wissenschaft-und-forschung/ (27.11.2023).

2 Vgl. Alexander Bogner. : Die Epistemisierung des Politischen. Wie die Macht des Wissens die Demokratie gefährdet. Ditzingen 2021, S. 16.

3 Ebd., S. 17.

4 Bogner, 2021, S. 7.

5 Ebd.

6 Vgl. Ottfried Höffe: Moral als Preis der Moderne: Ein Versuch über Wissenschaft, Technik und Umwelt. Frankfurt am Main 1993, S. 10.

7 Höffe, 1993, S. 24.

8 Ebd.

9 Vgl. ebd.

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