Promovieren an der Armutsgrenze – Zur Lage von Promotionsstipendiat*innen in Deutschland

Luise Klatte – Charlotte Rathjen (für das “Netzwerk Stipendienerhöhung”)

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Promotionsstipendien bilden einen elementaren Eckpfeiler der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung in Deutschland. Großflächige Studien über die tatsächliche Anzahl von Stipendiat*innen in den unterschiedlichen Promotionsprogrammen und den damit verbundenen finanziellen oder strukturellen Herausforderungen gibt es wenige. Eine Ausnahme stellt die Nacaps-Studie von 2019 dar, an der knapp 24.000 an deutschen Hochschulen registrierte Promovierende teilnahmen. Demnach bezogen im Frühjahr 2019 rund 15 % aller Promovierenden ein Stipendium als Hauptfinanzierungsquelle. Der Anteil derer, die in der Gesamtlaufzeit ihrer Promotion auf ein Stipendium angewiesen sind oder waren, dürfte deutlich höher liegen.

Die Promotion mit einem Stipendium bietet gegenüber einer Beschäftigung an einer Hochschule einige Vorteile. An dem eigenen Forschungsvorhaben kann bei weitgehender Unabhängigkeit und ungestört von Lehr- und Verwaltungspflichten gearbeitet werden. Die Nachfrage nach Stipendien ist entsprechend groß und die Förderangebote haben sich in den letzten Jahrzehnten stark ausdifferenziert. Dabei kann grundlegend zwischen Programmen unterschieden werden, die Promotionen in bestimmten Fachbereichen oder zu spezifischen Themengebieten unterstützen, und solchen Finanzierungsmöglichkeiten, die eine große Bandbreite an Disziplinen abdecken. In beiden Fällen gibt es sowohl private als auch öffentliche Förderprogramme. Zu letzteren zählen beispielsweise die Landesgraduiertenstipendien der Länder, deren Stipendienplätze und -sätze im föderalen System jedoch erheblich variieren und von stark schwankenden Konjunkturzyklen abhängig sind.

Besonders viele Stipendien werden jährlich im Rahmen der sogenannten Begabtenförderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) vergeben. Dabei stellt das BMBF den 13 Begabtenförderungswerken Mittel zur Verfügung, um Nachwuchswissenschaftler*innen in Form eines Stipendiums finanziell und ideell zu fördern. Die 13 Werke setzen sich aus überparteilichen und konfessionslosen Förderwerken, aus den großen parteinahen Stiftungen sowie aus konfessionsgebunden und gewerkschafts- bzw. arbeitgebernahen Trägern zusammen. Es gibt keine belastbaren Angaben zur Gesamtzahl an Promotionsstipendiat*innen in der Begabtenförderung. Laut eines Artikels des Spiegels bezogen 2020 knapp 4.400 Promovierende ein Stipendium im Rahmen der Begabtenförderung.

Seit Oktober 2023 erhalten Promotionsstipendiat*innen in der Begabtenförderung ein monatliches Grundstipendium in Höhe von 1.450 € zzgl. einer Forschungskostenpauschale von 100 € pro Monat. Die Förderdauer beträgt 3,5 Jahre. Eigentlich keine so schlechten Rahmenbedingungen, zumal die Stipendienhöhe von insgesamt 1.550 € auf den ersten Blick mit einer Doktorandenstelle vergleichbar zu sein scheint.

Bei genauerem Hinsehen werden jedoch große strukturelle Unterschiede zwischen einem Promotionsstipendium und einer Anstellung an einer Hochschule deutlich. Besonders gravierend ist der Umstand, dass die Stipendien keine Beschäftigungsverhältnisse darstellen und Stipendiat*innen entsprechend nicht sozialversichert sind. Sie sind weder gesetzlich renten- noch pflegeversichert, was spätestens mit Eintritt in die Rente zu erheblichen Einschnitten führt. Die hohen monatlichen Beiträge für eine freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung müssen außerdem eigenständig erbracht werden. Zwar kann hierfür bei den Begabtenförderungswerken ein Zuschuss von 100 € im Monat beantragt werden, dieser deckt jedoch die realen Beitragssätze von knapp 300 € im Monat bei Weitem nicht ab.

Viele Stipendiat*innen bemühen sich deshalb um eine Anstellung an der Hochschule. Dies ist möglich, sofern die wöchentliche Arbeitszeit nicht mehr als zehn Stunden beträgt. Das entspricht einer 25 %-Stelle als wissenschaftliche*r Mitarbeiter*in, die an Instituten jedoch kaum vorgesehen sind. Also bleibt Stipendiat*innen oftmals nur eine Bewerbung auf seltene sowie finanziell und strukturell deutlich schlechter gestellte Stellen als wissenschaftliche Hilfskraft – und dies trotz mehrerer Studienabschlüsse.

Finden die Stipendiat*innen keine Anstellung, die den Promotionsauflagen entsprechen, bleiben ihnen nach Abzug der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge ca. 1.350 € im Monat zum Bestreiten aller privaten sowie forschungsbezogenen Kosten. Angesichts explodierender Mieten und steigender Lebenshaltungskosten führt dies zu einem massiven Missstand. Es scheint unmöglich, eine Promotion ausschließlich durch das Stipendium zu finanzieren.

Hinzu kommt, dass aufgrund der fehlenden institutionellen Anbindung oftmals keine Forschungskosten über die Hochschule abgerechnet werden können. Konferenzteilnahmen, Literatur, Software, Archivnutzung usw. – all dies kann mit einer monatlichen Forschungspauschale von nur 100 € in der Regel nicht bestritten werden. Doch selbst in den seltenen Fällen, in denen der Betrag die tatsächlichen Kosten deckt, bleiben nach Abzug der Forschungsausgaben lediglich 1.250 € pro Monat übrig.

Davon sollen sämtliche Fixkosten wie Miete, Lebenshaltung, Semestergebühren, aber auch Beiträge zur privaten Altersvorsorge gezahlt werden. Viele Promovierende leben aufgrund der notwendigen Nähe zur Hochschule in beliebten Ballungszentren und müssen allein für die Miete einen Großteil dieses Geldes aufbringen. Die Folge: Der prekäre Studi-Alltag setzt sich in der Promotionsphase fort. 

Laut des Statistischen Bundesamts lag 2022 der Schwellenwert zur Armutsgefährdung in Deutschland bei einem monatlichen Nettoeinkommen von 1.250 €. Dieser Wert dürfte im Jahr 2023 nicht nur deutlich gestiegen sein, auch variiert er regional deutlich. In einer Stadt wie München mit besonders hohen Lebensunterhaltungskosten lag er bereits 2021 bei 1.540 €. Der den Stipendiat*innen real zur Verfügung stehende Nettobetrag bewegt sich damit am Rande der deutschlandweiten Armutsgefährdungsschwelle – in Städten mit hohen Mietpreisen liegt er sogar deutlich darunter. 

Neben den materiellen Aspekten resultieren aus der fehlenden institutionellen Anbindung weitere Herausforderungen und Nachteile: Promotionsstipendiat*innen haben weder einen festen Arbeitsplatz noch können sie die Infrastrukturangebote der Hochschulen nutzen, die sich an wissenschaftliche Beschäftige richten.

Schließlich besteht aufgrund des fehlenden Anstellungsverhältnisses keinerlei Arbeitsschutz. Die Stipendien werden zunächst für 12 Monate bewilligt, dann wird ein Arbeitsbericht gefordert und je nach Stiftung werden bis zu drei Gutachten fällig, von denen die Weiterförderung abhängt. Transparente Beurteilungskriterien für die Weiterförderung gibt es nicht, bei Ablehnung kann kein Widerspruch eingelegt werden und die Stiftungen sind nicht auskunftspflichtig. Das erzeugt Abhängigkeitsverhältnisse, in denen Kritik aus Angst vor persönlichen Konsequenzen kaum artikuliert wird. 

Daneben ist es für viele Promotionsstipendiat*innen allein schon aufgrund erheblicher Mehrfachbelastungen schwer, sich für bessere Promotionsbedingungen einzusetzen: Sie sollen forschen, die eigene wissenschaftliche Arbeit durch Publikationen und Vorträge voranbringen, zur Sammlung von Lehrerfahrung bestenfalls einen unterbezahlten Lehrauftrag ausüben, bis zu zehn Stunden pro Woche arbeiten und sich ehrenamtlich engagieren. Das gesellschaftspolitische Engagement ist für eine erfolgreiche Bewerbung und Weiterförderung maßgeblich. Im Kontext dieser gewaltigen Anforderungen ist es wenig verwunderlich, dass bei Vernetzungsveranstaltungen gerade diejenigen, die durch zusätzliche Faktoren wie Betreuungsverantwortung oder Erkrankung besonders belastet sind, kaum vertreten sind.

Einen Vorstoß im Hinblick auf die Forderung grundlegender Reformen hat im September dieses Jahres das Netzwerk Stipendienerhöhung unternommen. Das Netzwerk ist ein freier Zusammenschluss von Promotionsstipendiat*innen verschiedener Werke und Promotionsprogramme, das sich zu den Promotionsbedingungen von Stipendiat*innen austauscht. Im September veröffentlichte es einen offenen Brief an das BMBF, der von 139 Stipendiat*innen erstunterzeichnet wurde. Eine zeitgleich gestartete Petition brachte über 1.700 Unterschriften ein. Zusätzlich informierte das Netzwerk in den sozialen Medien unter dem Hashtag #DoktorhutUndDauerpleite über die prekäre Situation von Promotionsstipendiat*innen.

Hintergrund der Kampagne waren die vom BMBF bereits im Juli angekündigten Änderungen in der Begabtenförderung, deren konkrete Umsetzung jedoch lange auf sich warten ließ. Neben einer Erhöhung der Förderdauer von 3 auf 3,5 Jahren wurde beschlossen, dass die Promotionsstipendien bis zum Wintersemester 2025/2026 um insgesamt 300 € angehoben werden sollen. Der erste Erhöhungsschritt von 100 € im Herbst 2023 steht jedoch in keinem Verhältnis zu den real gestiegenen Lebenshaltungskosten der letzten Jahre.

Zentraler Grund für diese nur schrittweise und den realen Preissteigerungen nicht angemessene Erhöhung liegt in dem Umstand begründet, dass das BMBF keine zusätzlichen Mittel für die Begabtenförderung zur Verfügung stellt. Um die Änderungen finanzieren zu können, müssen die Begabtenförderwerke folglich umplanen – was u.a. zu einem Abbau der ohnehin schon raren Promotionsplätze führen wird. Dieser Umstand und die allgemein prekären Promotionsbedingungen veranlassten das Netzwerk Stipendienerhöhung zur Veröffentlichung eines Offenen Briefes. Darin forderte das Netzwerk (1) die sofortige Erhöhung des monatlichen Stipendiensatzes um 300 €, (2) die volle Erstattung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, (3) die Anrechnung der Promotionszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie (4) die Verlängerung der Laufzeit aller Stipendien.

Obgleich die zentralen Forderungen des Briefes größtenteils nicht umgesetzt worden sind, stellt der Brief einen großen Erfolg dar: Zum einen formierte sich durch das Netzwerk erstmalig ein breites Bündnis von Promotionsstipendiat*innen aus verschiedenen Förderprogrammen. Zum anderen kündigten mittlerweile alle Begabtenförderwerke eine Verlängerung der Förderdauer all ihrer Stipendiat*innen auf 3,5 Jahre an, die bis zuletzt nicht für alle gelten sollte.

Dieses Potential will das Netzwerk Stipendienerhöhung weiter nutzen und längerfristig zur Vernetzung von Promotionsstipendiat*innen insgesamt – auch über die Begabtenförderung hinausgehend – beitragen, um deren Herausforderungen und Probleme in der deutschen Forschungslandschaft nachhaltig sichtbar zu machen und auf Veränderungen hinzuwirken. 

Literaturverzeichnis

Antwort Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU: https://dserver.bundestag.de/btd/20/075/2007560.pdf. (12.11.23).

Becker, Caroline: «Welche Stipendien es für die Doktorarbeit gibt – und wie man sie bekommt». In: Der Spiegel. 28.03.2022. https://www.spiegel.de/start/promotionsfoerderung-welche-stipendien-es-fuer-eine-doktorarbeit-gibt-a-867bc127-2380-4cfe-9301-48e9d8846d35. (12.11.23).

Bundesministerium für Arbeit und Soziales: https://www.bmas.de/DE/Arbeit/Arbeitsrecht/Mindestlohn/Mindestlohnrechner/mindestlohn-rechner.html. (12.11.23).

Bundesministerium für Bildung und Forschung: Die Begabtenförderungswerke: https://www.bmbf.de/bmbf/de/bildung/begabtenfoerderung/die-begabtenfoerderungswerke/die-begabtenfoerderungswerke_node.html (12.11.23).

Münchner Armutsbericht 2022: https://www.muenchen.info/soz/pub/pdf/674_SOZ_Muenchner-Armutsbericht-2022_barrierefrei.pdf. (12.11.23).

Netzwerk Stipendienerhöhung: https://promostip.de/offener-brief-2/ (12.11.23). 

Statistisches Bundesamt: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Einkommen-Konsum-Lebensbedingungen/Lebensbedingungen-Armutsgefaehrdung/Tabellen/armutsschwelle-gefaehrdung-mz-silc.html (12.11.23).

Wegner, Antje: «Die Finanzierungs- und Beschäftigungssituation Promovierender: Aktuelle Ergebnisse der National Academics Panel Study». In: DZHW Brief 4, 2020, S. 9. https://doi.org/10.34878/2020.04.dzhw_brief (12.11.23).

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