Sehnsucht nach dem Männlichen? Feministische Streitpunkte in Sophie Passmanns Pick Me Girls 

Lina-Marie Eilers

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Rezension zu: Sophie Passmann: Pick Me Girls. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2023, 224 S. € 22,00

«Ich denke oft an die Frau, die ich eigentlich wäre» – Mit diesem Satz eröffnet Sophie Passmann ihr neuestes Werk Pick Me Girls, eine Art feministisches Selbstportrait, das sich dem insbesondere auf TikTok präsenten Begriff des pick me girls widmet. Entlang ihrer eigenen Erfahrungen und des Verlaufes ihres eigenen Lebens rekonstruiert und reflektiert Passmann ihren persönlichen Werdegang zum sogenannten pick me girl. Sie selbst sagt, ihr Buch sei jedoch weder eine Autobiographie, noch ein feministisches Kampfwerk. Es sei das Buch, das Passmann mit 14 Jahren gebraucht hätte. Im Verlauf des Buches erscheint diese Aussage jedoch skurril und lädt zugleich zum Streiten ein. In Anlehnung an Sophie Passmann schreibe ich diese Rezension jetzt, weil ich glaube, dass ich Sophie Passmann an einigen Stellen widersprechen und anhand ihrer Aussagen feministisch streiten möchte. Das hier ist keine Rezension über ein Buch, das ich mit 14 Jahren gebraucht hätte. Es ist auch keine popfeministische Erwiderung über meine eigenen Erfahrungen und erst recht, um Gottes willen, um damit erneut indirekt auf Passmann anzuspielen, keine Rezension, in der es lediglich darum geht, dass Sophie Passmann als weiße cis-Frau nicht für alle Frauen sprechen kann. 

Der Begriff des pick me girl ist im Sumpf popfeministischer Tiktok-Videos entstanden. Laut Urban Dictionary beschreibt der Begriff Frauen, die männliche Bestätigung durch ihre Abgrenzung zu anderen Frauen suchen1. Pick me girls wollen anders als andere Frauen sein, unkomplizierter und entspannter. Sie distanzieren sich von weiblichen Klischees, um Männern zu gefallen. Sophie Passmann schreibt, dass das pick me girl weniger so sein will wie andere Frauen, was meist bedeutet «einfach mehr [zu sein] wie Männer». Die feministische Auseinandersetzung mit dem Begriff des pick me girls ist, wie Passmann auch zu Beginn ihres Buches schreibt, spannend und notwendig, da sich der Begriff fest in popfeministischen Debatten etabliert hat. Und auch da dieser Begriff eigentlich viele grundsätzliche Fragen über Frauen, ihre Situation, weibliche Sozialisation und zur feministischen Praxis aufwirft. Mit diesen Fragen beschäftigt sich Passmann jedoch nicht. Stattdessen versucht sie, ihr Verhalten, das sie selbst als das eines pick me girls bezeichnet, zu rechtfertigen. Und gerät in ihrer Rechtfertigung in eigene Widersprüche – aber vor allem in den inneren Widerspruch des pick me girls. 

So zu sein wie alle und doch so zu sein wie keine

Einer der größten Widersprüche in Passmanns Buch ist die Frage danach, wie Frauen denn nun zu sein hätten. Dieser Widerspruch selbst ist zunächst eine große Stärke von Pick Me Girls. Er distanziert das Werk von anderen klassischen popfeministischen Texten, die sich immer wieder in der Frage verlieren, wie Frauen denn nun im 21. Jahrhundert auftreten, was sie machen können und sollten und die sich notwendigerweise immer in feministischer Belanglosigkeit verlieren. Jene Belanglosigkeit hebt auch Passmann hervor, in dem sie schreibt, dass sie lieber eine Frau in Kauf nimmt, «die beim Versuch seltsam zu sein, ab und zu versehentlich ein pick me girl ist, als eine Frau, die beim Versuch, jede Frau jederzeit zu empowern, in feministischer Belanglosigkeit strandet». Ihr geht es mit dieser Aussage jedoch weniger darum, die feministische Belanglosigkeit an die zum Scheitern verurteilte Individualität von Popfeminismen zu koppeln. Ihre Aussage bezieht sich auf ihre zuvor ausformulierte These, dass Frauen heute «nicht ansatzweise so interessant sind wie junge Männer». Ihrer Meinung nach gäbe es zu viele Frauen, die keine Hobbys haben, keinen Musik- oder keinen Filmgeschmack, schlicht: zu viele Frauen ohne Leidenschaft. Und dieser These muss widersprochen werden.

Zunächst lässt sich die wohl offensichtlichste Frage aufwerfen: Warum haben Frauen keine Zeit für Hobbies, keine Zeit, um einen ausgeprägten Filmgeschmack zu entwickeln? Bereits vor Pick Me Girls haben Feminist*innen, insbesondere marxistische Feminist*innen, die Ausbeutung von Frauen durch ihre reproduktiven Tätigkeiten und die steigende Frauenerwerbstätigkeit herausgearbeitet. Wenn ich neben einem prekären und kaum erfüllenden Teilzeitjob mich auch noch um die Kinder, den Haushalt und Angehörige kümmern muss, dann bleibt wenig Zeit für die jüngst erschienenen Filme im Programmkino um die Ecke. Der Reflex Passmanns, die fehlende Zeit für Hobbys von Frauen darauf zu reduzieren, dass sie langweilig seien, scheint, vor dem Hintergrund der ökonomischen und gesellschaftlichen Strukturen, zynisch. 

Doch auch andere Fragen schwingen mit: Wertet Sophie Passmann «weibliche» Hobbies ab oder erkennt sie diese nicht als solche an? Warum wertet sie den Besuch im Stadion als interessanter, als das Kaffeetrinken mit Freundinnen? Ist diese Abwertung stereotyp weiblicher Hobbies nicht schlicht ein patriarchaler Reflex? Und ihre Besessenheit darauf, sich von allem stereotyp weiblichen abzugrenzen, nicht eben das klassische Verhalten eines pick me girls?

Vielleicht sollte Sophie Passmann vor allem eins sein: Versöhnlicher mit anderen Frauen und verständnisvoller mit ihren Situationen. Denn diese Passage liest sich nun mal so, als würde Sophie Passmann einfach keine Frauen mögen und sich auch noch aus feministischer Perspektive dafür rechtfertigen, wodurch ihre eigene widersprüchliche Betrachtung des Phänomens des pick me girl deutlich wird.

Das Buch, dass ich mit 14 gebraucht hätte

Was wäre ein Buch, das Mädchen mit 14 Jahren brauchen? Es wäre ein Buch, das Vieles gleichzeitig kann. Es sollte ein Verständnis für die kollektiven Erfahrungen, Ängste und Unsicherheiten von jungen Mädchen schaffen. Es sollte bewirken, dass sich junge Mädchen weniger alleine mit ihren Problemen fühlen und verstehen, dass die Gesellschaft und nicht sie das Problem sind. Und dadurch sollte dieses Buch die Schwere und die Verurteilung über sich selbst bei jungen Mädchen reduzieren. Und es sollte junge Mädchen für feministische Kämpfe motivieren, ihnen Kraft geben, gegen geschlechtliche Zwänge und Unterdrückung zu kämpfen.

Sophie Passmanns Buch Pick Me Girls erscheint jedoch wie eine harte Abrechnung mit der jüngeren Version ihrer selbst. Auch wenn Passmann immer wieder versucht, ihre persönliche Situation und das eigene Verhalten aus strukturellen, beziehungsweise gesellschaftlichen oder familiären Ursprüngen herzuleiten, blieb mir beim Lesen am Ende vor allem ihre verurteilende Sicht auf ihr jüngeres Ich, dem stetigen Pochen auf ihre fehlerhaften Ansichten und Verhaltensweisen in Erinnerung. Und es stellt sich die Frage: Ist Sophie Passmanns Buch über das Phänomen des pick me girl nicht selbst eine typische Handlung eines pick me girl? Und gerät Sophie Passmann nicht dadurch in den notwendigen Trugschluss des Begriffs des pick me girls? Dieser Trugschluss besteht darin, dass Frauen ihre patriarchalen Leiden auf andere Frauen projizieren, weil sie merken, dass die Bestätigung durch Männer ihnen immerhin einen gewissen, kleinteiligen «Vorteil» in der patriarchalen Gesellschaft schafft. Feminist*innen müssen sich die Frage stellen: Können und wollen wir Frauen dafür dermaßen verurteilen oder sollten wir nicht eher das Handeln aus ihrer Situation heraus nachvollziehen können und anstatt erneut in den verurteilenden weiblichen Reflex zu geraten, unsere Kraft darauf anwenden, Frauen für einen kollektiven feministischen Kampf zu ermutigen? 

Meine These ist: Pick-Me-Girls sehnen sich nicht danach, wie Männer zu sein, weil sie Frauen nicht leiden können. Ihre Sehnsucht nach dem Männlichen ist die Sehnsucht nach dem Leben eines Mannes. Und damit ist keineswegs irgendein Penisneid gemeint und auch keine Sehnsucht nach männlichen Stereotypen. Die Sehnsucht nach dem Männlichen sehnt sich nach einem Leben ohne Sexismus, einem Leben mit weniger Zwängen, mit weniger Verurteilung, mit weniger Gewalt, mit weniger Isolation. Diese Sehnsucht sollte nicht verurteilt werden, doch anstatt sie in Hass gegenüber anderen Frauen oder sich selbst münden zu lassen, sollte sie in feministischen Kämpfen und Solidarität unter Frauen münden. 

Vielleicht hätte Sophie Passmann doch eine feministische Kampfschrift schreiben sollen, dann wäre es auch das Buch, das ich mit 14 Jahren gebraucht hätte. Pick Me Girls ist es jedoch nicht.

1 Siehe hierzu den Beitrag in Urban Dictionary aus 2020: https://www.urbandictionary.com/define.php?term=Pick-me%20girl 

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