Erneuerbare Energien im Fokus behalten! – Warum Deutschland aus der Atomkraft aussteigen sollte

Von Carsten Schwäbe

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Deutschland hat sich als große Industrienation das ambitionierte Ziel gesetzt, die ökologische Transformation auf erneuerbare Energien nicht nur durch den Ausstieg aus fossilen Energien, sondern auch aus Atomstrom zu bewerkstelligen. Diese Mission war der Grund dafür, dass Deutschland erhebliche Investitionen in Forschung, Entwicklung und Verbreitung erneuerbarer Energien gesteckt hat. Die problematische Lage, in der die deutsche Energiepolitik steckt, stammt nicht aus dem Atomausstieg, sondern aus der Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit beim Ausbau der Erneuerbaren. Die Rückkehr der Atomdebatte treibt diese Kluft nur auseinander. 

Eigentlich hätte es ganz einfach sein können: Mit dem Kohleausstiegsgesetz von 2021 wollte Deutschland die Emissionsreduktionsziele verfolgen und Erdgas als Brückentechnologie benutzen bis der Ausbau und die Integration der Erneuerbaren in das Stromnetz geschafft ist. Gas hat gegenüber Kohleenergie zwei Vorteile: Gas emittiert weniger Treibhausgase als Kohle und Gas lässt sich flexibel in das Netz einspeisen und auch wieder abschalten. Damit wird Gas nicht einfach nur zum Lückenfüller in der Energieversorgung, sondern baut eine echte Brücke zu den volatilen erneuerbaren Energien. Denn Sonnen- und Windenergie stehen nicht immer zur Verfügung. Sonne strahlt nur tagsüber und im Sommer stärker als im Winter. Windenergie ist ebenso volatil, auch wenn Wind nachts und eher in den kälteren Monaten stärker weht. Sonnen- und Windenergie ergänzen sich, aber es sind neue Flexbilitätsoptionen notwendig, um eine Industrienation wie Deutschland im Wesentlichen über Sonnen- und Windenergie zu versorgen. Stromspeicher oder eine intelligente Stromnachfrage gehören dazu genauso wie eine flexible Nutzung von Bioenergie. Doch bis diese Flexibilitätsoptionen ausreichend zur Verfügung stehen, braucht ein beschleunigter Ausbau der erneuerbaren eine Brücke, die Gas als flexibler Energieträger bietet. 

Deutschland braucht ein neues Transformationskonzept

Die neue Ampelregierung hatte sich eigentlich zum Ziel gesetzt, diesen Prozess (notwendigerweise) zu beschleunigen und einen Kohleausstieg nicht erst 2038, sondern 2030 zu schaffen. Dieser Weg wäre mit Gaskraft als Brücke wahrscheinlich auch gangbar gewesen, wenn nicht ein anderer strategischer Fehler sich mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gerächt hätte: die große Abhängigkeit Deutschlands von russischen Gaslieferungen. Mit den Verwerfungen am Gasmarkt und der fehlenden Infrastruktur für Flüssiggas musste Deutschland sein Transformationskonzept für die Energiepolitik kurzfristig über den Haufen werfen. Das gilt nicht nur für die Stromproduktion, sondern auch für die Wärmeversorgung, die erheblich von Erdgas abhängig ist, weil Deutschland bei der Versorgung durch alternative Technologien und Energien, zum Beispiel Wärmepumpen, den eigenen Zielen hinterherhinkt. Kohlekraftwerke mussten wieder angeworfen werden. Flüssiges Erdgas wird nun in großem Stil nach Deutschland verschifft. Mit neuen, sehr langfristigen Verträgen hat sich Deutschland hier erneut an fossile Energieträger gebunden. Die notwendige Infrastruktur wurde in Rekordzeit aufgebaut – eine unbürokratische und schnelle Leistung, die man sich eigentlich auch für den Ausbau der Erneuerbaren wünschen würde. 

Kurzfristig mag Deutschland damit durch diesen und den nächsten Winter kommen. Doch langfristig braucht Deutschland ein neues Transformationskonzept, denn Gas ist knapper geworden und wird in Deutschland gerade in der Wärmeversorgung gebraucht. Konservative Stimmen aus Deutschland, aber auch viele unterschiedliche Stimmen aus dem Ausland blicken kritisch auf die Ziele der deutschen Energiepolitik. Denn in anderen Ländern wird der Atomstrom nicht als Problem, sondern als Lösung angesehen. Atomstrom emittiert keine Treibhausgase und kann in Großkraftwerken produziert werden, die in den letzten Jahren durch Forschung und Entwicklung erhebliche Fortschritte bei der Energiegewinnung und bei der Sicherheit erzielt haben. Sollte ein neues deutsches Transformationskonzept nicht einfach auf Atomstrom statt auf Gas- und Kohleverstromung setzen? Denn eigentlich ist es vollkommen unsicher, ob eine vollständig erneuerbare Energieversorgung in Deutschland überhaupt möglich ist. 

Blickt man jedoch auf die Eigenschaften von Atomstrom, dann kann er für das deutsche Transformationskonzept keine echte Lösung sein: Atomstrom ist keine flexible Energie. Sie kann nicht zur Integration der volatilen erneuerbaren Energien hoch- und wieder runtergefahren werden. Sie drängt die Erneuerbaren eher aus dem Markt. Denn mit der Integration der Erneuerbaren muss eigentlich ein Strommarkt geschaffen werden, der nicht nur die Produktion, sondern die flexible Einspeisung nach den jeweiligen Bedarfen vergütet. Atomstrom bietet für diese Transformationsherausforderung keine Antwort. Der Weg in die Atomkraft als echte Alternative würde auch bedeuten, dass die Anstrengungen zu einem flexibilisierten Strommarkt eher zurückgefahren werden müssen, gerade weil Atomstrom eine kontinuierliche Vergütung braucht – wohingegen erneuerbare Energien fast keine Grenzkosten, sondern nur Investitionskosten nach sich ziehen. 

Für die Konservativen in Deutschland ist der Ruf nach Atomkraft – obwohl die deutsche Industrie selbst ihr skeptisch gegenübersteht – nicht verwunderlich. Große Teile von CDU/CSU und FDP lehnen zum Teil auch nur aus ideologischen Gründen gerade die Windenergie ab. Oftmals werden zwar Ausbauziele anerkannt, aber notwendige Maßnahmen für eine bessere Vergütung und leichtere Genehmigungsverfahren blockiert. Nicht nur die Windenergie wurde auf diese Weise ausgebremst. Bei der Photovoltaik hat fehlendes Politiklernen und ein falsches Politikdesign zu einer komplizierten Mengensteuerung mit Ausbaudeckeln geführt, die für die damals noch starken deutschen Unternehmen in der Solarbranche zu großer Unsicherheit führte. In Kombination mit dem subventionsgetriebenen Konkurrenzdruck aus China, dem sich weder Deutschland noch die EU annahm, kam nicht nur der Solarausbau in Deutschland fast zum Erliegen. Viele Firmen drängten die große Unsicherheit aus dem Markt.

All diese Verwerfungen verlangsamten den Ausbau der Erneuerbaren in Deutschland und behinderten damit auch die Möglichkeit, schneller aus fossilem Strom auszusteigen und sich der Herausforderung eines flexiblem Strommarkts mit volatilem Strom zu stellen. Aber Atomstrom wird diese Herausforderung ebenso wenig lösen. Kritische Stimmen verweisen auf den großen Fehler Deutschlands, erst aus Atom- und dann aus der Kohleverstromung ausgestiegen zu sein. Aus Klimaperspektive war das mit Sicherheit ein Fehler. Hier hat sich auch die Sozialdemokratie zu spät damit befasst, wie die Transformation der von der Kohleverstromung abhängigen Regionen gelingen kann, ohne wirtschaftliche Einbußen für die Menschen vor Ort. Doch selbst wenn hier ein schwerwiegender Fehler begangen wurde: Der Weg zurück ist auch keine Alternative. Denn Atomstrom ist kein Allheilmittel, selbst neue Kraftwerke können Atommüll nicht vollständig vermeiden, Brennstäbe müssen abgebaut werden und stehen nicht einfach so zu Verfügung wie erneuerbare Energien. Die Zukunft der Energieversorgung auf der Welt wird nicht nur mit Atomstrom zu bewerkstelligen sein.  

Hier liegt die große Chance, wenn Deutschland seine Innovationskraft darauf verwendet, die Transformation ausschließlich auf erneuerbare Energien zu schaffen. Diese Missionsorientierung kann – genauso wie die Mondlandung – zu neuen technologischen Möglichkeiten führen. Die Photovoltaik-Förderung hat das gezeigt: Die hohen Kosten der Photovoltaik konnten durch die hohen gezahlten Subventionen stark sinken – viel stärker und schneller als Expert*innen rechneten. 

Die Transformation kann nur europäisch gelingen

Doch bei allem Pioniergeist darf Deutschland nicht als Schulmeister der europäischen oder globalen Energiepolitik auftreten. Deutschland hat Fehler bei seiner Energiepolitik gemacht und fällt bei der Emissionsreduktion eher zurück. Es ist ein ambitioniertes Ziel aus fossiler und nuklearer Energie auszusteigen. Ob und wie Deutschland es bewerkstelligt, bleibt mit Unsicherheiten verbunden. Hier braucht Deutschland Partner aus dem Ausland. Ein gut integrierter europäischer Strommarkt spielt dabei eine zentrale Rolle. So wie aktuell die deutsche Stromversorgung trotz der Gaskrise Strom nach Frankreich (übrigens wegen Problemen mit den dortigen Atomkraftwerken) exportiert, könnte Deutschland mal an anderer Stelle Hilfe brauchen, wenn im Transformationsprozess Probleme auftreten. Ein stärker integriertes europäisches Stromnetz stellt eine weitere wichtige Flexibilitätsoption dar, mit der Deutschland den Ausbau der volatilen Erneuerbaren bewerkstelligen kann. Wenn dann nach Deutschland auch mal Atomstrom fließen sollte, muss Deutschland das akzeptieren. Denn die Realität ist, dass sich bisher die meisten Länder nicht dem deutschen Atomausstieg anschließen möchten. Deswegen war es auch folgerichtig, dass die Taxonomie der EU Atomstrom als grünen (erneuerbar ist Atomstrom nicht!) Strom einstufte. Aus innovationsökonomischer Sicht ist das völlig in Ordnung, Deutschland darf sich seiner Mission verschreiben und wenn sie erfolgreich verläuft, können anderer Länder dem immer noch folgen. Andere Länder können und sollen sich den neuen Innovationen bei der Atomenergie zuwenden. Erst durch diese Vielfalt können wir gemeinsam mit den Technologien lernen und unsere Erkenntnisse exportieren. 

Die anderen europäischen Länder sollten dem deutschen Atomausstieg daher nicht so skeptisch wie die Konservativen gegenüberstehen. Vielmehr sollten sie von Deutschland fordern, dann auch bitte die Herausforderungen, die die deutsche Energiewende mit sich bringt, anzugehen und Emissionsreduktionsziele sowie Ausbauziele für die Erneuerbaren einzuhalten, ohne sich in eine dramatische Abhängigkeit von Russland oder anderen problematischen Staaten zu bringen. Deutschland hingegen sollte die Fehler der eigenen Energiepolitik anerkennen und die Nutzung von Atomenergie in anderen Ländern nicht verteufeln, sondern sich auf seine Mission fokussieren und auf einen stärker europäisierten und damit sichereren und flexibleren Strommarkt setzen, mit dem die deutsche Energiewende leichter zu bewerkstelligen ist. Wenn die Transformation gelingt, dann wird die schiere Attraktivität von Solar- und Windenergie als Energien ohne Grenzkosten auch dazu führen, dass Atomkraft von ganz allein infrage gestellt wird. 

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