Strajk Kobiet – Feministische Kämpfe in Polen 

Von Louisa Klatte

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Polen ist nicht gerade für progressive Frauenrechte und Feminismus bekannt. Neben vielen fragwürdigen Entscheidungen der amtierenden PiS-Regierung liegt das vor allem an Polens Abtreibungsrecht. Seit Jahren gilt das Land als negativer Referenzrahmen in Sachen Selbstbestimmung, denn dort stehen Abbrüche bis auf wenige Ausnahmen unter Strafe. Im Herbst 2020 schränkte der polnische Verfassungsgerichtshof die Bedingungen für legale Abbrüche weiter ein. Trotz Massenproteste in Polen und internationaler Kritik trat die Gesetzesverschärfung Anfang 2021 in Kraft. 

Seitdem sind in Polen nur noch Abbrüche erlaubt, bei denen Schwangerschaften eine Gefahr für Leben oder Gesundheit Schwangerer darstellen oder diese auf eine Straftat zurückzuführen sind. Für verfassungswidrig erklärt und damit ersatzlos gestrichen wurde die Möglichkeit eines legalen Abbruchs aufgrund schwerer Erkrankungen oder Schädigungen des Fötus. 

Dieses Urteil kommt einem faktischen Abtreibungsverbot gleich, haben 2019 mehr als 97% der offiziell registrierten 1100 Abbrüche aufgrund der nunmehr verbotenen Ausnahme stattgefunden.1 Laut des polnischen Gesundheitsministeriums sank die Zahl der offiziellen Abbrüche nach der Gesetzesverabschiedung auf 107 pro Jahr.2 Dem gegenüber steht eine enorme Dunkelziffer illegaler Abbrüche. Laut der Initiative Abortion without borders hätten sich im selben Jahr allein bei ihrer Organisation über 34.000 ungewollt Schwangere aus Polen mit einem Abbruchwunsch gemeldet.3

Diese Verschärfung des Abtreibungsrechts reiht sich in den voranschreitenden Abbau von Rechtsstaatlichkeit unter der seit 2015 amtierenden PiS-Partei ein. Dabei verdeckt die stete Betonung der anti-demokratischen Entwicklungen häufig den Fakt, dass sich in Polen schon seit Ende der 1980er Jahre Frauenrechtsorganisationen und Aktivist:innen für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen einsetzen.  

Ende der liberalen Rechtsprechung 1993 

Anders als heute verfügte Polen bis Anfang der 1990er Jahre über eines der progressivsten Abtreibungsgesetze in Europa. Abbrüche waren bis zur zwölften Woche und ohne Angaben von Gründen erlaubt. Zum Schutz der Gesundheit der Frau standen ausschließlich hohe Strafe auf jene Eingriffe, die unter ungeeigneten medizinischen Bedingungen durchgeführt wurden. Das Gesetz wurde 1956 von der kommunistischen Regierung verabschiedet und führte zu einem Abtreibungstourismus von Deutschland nach Polen, war die Gesetzgebung in Ost- und Westdeutschland zeitweise restriktiver als in Polen.  

Als Ende der 1980er der Protest gegen das kommunistische Regime und die Kritik der katholischen Kirche an der liberalen Rechtsprechung wuchs, begann sich die Möglichkeit einer Gesetzesverschärfung langsam abzuzeichnen. Daraufhin kam es zu landesweiten Protesten, die jedoch kaum Einfluss auf politischer Ebene nehmen konnten und 1993 wurde schließlich das Gesetz über die «Familienplanung, den Schutz des menschlichen Fötus und die Bedingungen für die Zulässigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs» verabschiedet. Die darin enthaltende pauschale Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen markiert einen entscheidenden Paradigmenwechsel in der Bevölkerungs- und Gleichstellungspolitik Polens. Dieser Einschnitt reiht sich in eine Vielzahl politischer Entscheidungen zu Beginn der 1990er Jahr ein, mit denen die demokratisch gewählte Regierung die polnische Gesellschaft, Politik und Rechtsprechung ‹entkommunisieren› wollte. 

Kritik an der katholischen Kirche 

Hinter der Gesetzesverabschiedung vermuten viele Pol:innen zudem einen Kompromiss zwischen der damaligen Regierung und der katholischen Kirche. Polens Geschichte ist seit Jahrhunderten eng mit dem Katholizismus verbunden. Durch die Wahl Karol Wojtyłas zum Papst im Jahr 1978 gewann die katholische Kirche zusätzlich an Macht und drang vermehrt in die politische Sphäre ein. Durch die Furcht vor einem Konflikt mit der Kirche ist eine ‹Kultur der Kooperation› zwischen Kirche und Staat in Polen erwachsen, die den Handlungsspielraum von politischen Akteur:innen reduziert.4  

Die polnischen Feministinnen Agnieszka Graff und Katarzyna Bratkowska bezeichnen das Zusammenspiel von Kirche und Staat zudem als ‹falschen Kompromiss›. In ihrem Essay «Prawo przeciw kobietom» (Gesetz gegen Frauen) von 2006 kritisieren sie, dass sich die Regierung durch die Kriminalisierung von Abbrüchen den Rückhalt der katholischen Kirche sichern wollte. Diese stillschweigende Einigung erfuhr vor dem Hintergrund der EU-Beitrittsverhandlungen Polens Anfang der 2000er eine Aktualisierung. Mit der damaligen sozialdemokratischen Regierung war die Hoffnung auf Liberalisierung verbunden, doch tatsächlich wurden öffentliche Debatten über das Abtreibungsgesetz oder Änderungsvorschläge weitgehend vermieden. Dahinter vermuten Graff und Bratkowska eine gezielte Strategie der Regierung, um nicht in Konflikt mit der katholischen Kirche zu geraten und womöglich ihre Unterstützung für den EU-Beitritt zu verlieren.5

Politischer Protest

Seit Anfang der 1990er Jahre engagiert sich auch die Politikerin Wanda Nowicka für das Recht auf Selbstbestimmung. Die studierte Philologin war 1991 an der Gründung der Förderation für Frauen und Familienplanung («Federacja na rzecz Kobiet i Planowania Rodziny»), kurz Federa, beteiligt, deren Vorsitzende sie bis 2011 war. 

Die Federa stellt einen Zusammenschluss verschiedener Vereine dar und ist bis heute aktiv. Neben Beratungsangeboten, u.a. in Form eines Hilfetelefons für ungewollt Schwangere, leistet die Föderation auch Rechtsbeistand bei Gerichtsprozessen, insbesondere, wenn legale Abtreibungen in Polen verweigert werden. Außerdem sind verschiedene Publikationen auch in englischer Sprache erschienen, so zum Beispiel ein Bericht zum 20-jährigen Bestehen der Rechtsprechung von 1993, die von der Federa als Anti-Abtreibungsgesetz bezeichnet wird.6 

Als Politikerin unterstützte Wanda Nowicka verschiedene Liberalisierungsbestrebungen. Unter anderem den von der parlamentarische Frauenfraktion unmittelbar nach der Gesetzesverabschiedung 1993 eingebrachten Änderungsvorschlag, der Abbrüche aufgrund der sozialen Indikation erlauben sollte. Die Gesetzesänderung wurde in letzter Instanz und durch das Vetorecht des damaligen Staatspräsidenten Lech Wałęsa gekippt. Nach dessen Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen 1995 wurden Schwangerschaftsabbrüche ein Jahr später aufgrund individueller Lebensumstände für kurze Zeit legalisiert. Allerdings nur bis der Verfassungsgerichtshof einer Beschwerde überwiegend männlicher Senator:innen stattgab und die Erweiterung Anfang 1997 außer Kraft setzte.  

PiS-Regierung und Massenproteste 2016 und 2020 

Neben verschiedenen Frauenrechtler:innen versuchten auch immer wieder rechtskonservative Koalitionen Einfluss auf die Rechtsprechung zum Schwangerschaftsabbruch zu nehmen. Die Versuche haben seit 2015 an Vehemenz gewonnen, als die rechtskonservative PiS-Partei die absolute Mehrheit in beiden Kammern des polnischen Parlaments gewann. So wurde bereits 2016 in erster Lesung die Gesetzesinitiative «Stop aborcji» (Abtreibungsstopp) im polnischen Parlament genehmigt. Ähnlich wie das Verfassungsurteil, das im Jahr 2020 gefällt wurde, wurde auch dieses Vorhaben ziemlich genau ein Jahr nach den jeweiligen Wahlsiegen der PiS und mit genügend Abstand zu den nächsten Parlamentswahlen eingereicht, was vor dem Hintergrund der folgenden Massenproteste politisches Kalkül vermuten lässt. Insbesondere da eine Mehrheit der polnischen Bevölkerung gegen ein – sowohl faktisches wie reales – Abtreibungsverbot ist.7  

Der Gesetzesvorschlag von 2016 hatte ein vollständiges Abbruchverbot mit entsprechend hohen Strafen zum Ziel, woraufhin sich Proteste im ganzen Land formierten. Am 3. Oktober wurde der «Nationale Frauenstreik» ausgerufen, an dem hunderttausende Menschen in einer Vielzahl polnischer Städte teilnahmen. In Polen sind die Proteste rund um den 3. Oktober 2016 als «Czarny Poniedziałek» (Schwarzer Montag) bekannt, in Deutschland wurde über den Schwarzen Protest («Czarny Protest») berichtet. Die Demonstrationen begleitete ein immenser Aufschrei in den sozialen Netzwerken. Der Vorschlag zur Gesetzesänderung wurde kurze Zeit später in zweiter Lesung und mit großer parlamentarischer Mehrheit abgelehnt. 

Im Oktober 2020 kam es nach Verkündigung des de facto Abtreibungsverbot erneut zu Massenprotesten. Aktivist:innen besetzten Kirchen und demonstrierten vor Parlamenten und den Wohnsitzen politischer Entscheidungsträger:innen. Der Verkehr in mehreren polnischen Großstädten wurde lahmgelegt. Aus den Protesten von 2016 war mittlerweile die Frauenrechtsbewegung «Ogólnopolski Strajk Kobiet» (Polnischer Frauenstreik) hervorgegangen, die nach der Urteilsverkündung einen Konsultationsrat gründete, der bis heute aktiv ist. Die «Rada Konsultacyjna» setzt sich aus mehreren hundert Personen zusammen, die in verschiedenen Bereichen aktiv sind. Auch Politikerinnen sind Mitglied des Rates und versuchen Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen. Dabei ist das Bündnis bewusst parteiübergreifend, damit der Kampf für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen nicht von Parteikonflikten instrumentalisiert werden kann.8   

Darstellung im Ausland

Weder die feministischen Aktionsbündnisse noch die seit Jahrzehnten stattfindenden Versuche der politischen Einflussnahme finden außerhalb Polens groß Beachtung. Zwar wird sich mit den Protesten 2016 und 2020 solidarisiert, eine wirkliche Auseinandersetzung mit der feministischen Landschaft Polens findet jedoch kaum statt.9 

Dabei könnte eine wirkliche und nachhaltige Solidarisierung mit der Arbeit polnischer Aktivist:innen nicht nur Einfluss auf die polnische Rechtsprechung nehmen. Auch in Deutschland stehen Schwangerschaftsabbrüche nach wie vor unter Strafe. Diese bleiben zwar in deutlich mehr Ausnahmen als in Polen straffrei, letztlich liegen beiden Diskursen jedoch ähnliche Mechanismen zu Grunde: Die Kriminalisierung führt zur Tabuisierung von Abbrucherfahrungen und der Stigmatisierung von Betroffenen. Zudem sind in beiden Ländern Beratungsgespräche und eine gesetzlich festgelegte Bedenkzeit verpflichtend, was den Zugang erschwert und Schwangere als prinzipiell hilflos und in ihrer Entscheidung nicht sicher konstruiert. Besonders schwerwiegend ist außerdem der Umstand, dass in beiden Ländern die Personen bestraft werden können, die den Abbruch durchführen. Das hat drastische Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung der Betroffenen: in Deutschland ist die Zahl der Ärzt:innen, die einen Schwangerschaftsabbruch anbieten, in den letzten Jahren deutlich zurück gegangen.10 In Polen hat die potenzielle Strafbarkeit in der Vergangenheit dazu geführt, dass Abbrüche trotz medizinischer Notwendigkeit gar nicht erst durchgeführt wurden. 

Bei aller rechtmäßiger Kritik an der polnischen Gesetzgebung braucht es im Ausland mehr Wissen über polnische Frauenrechtsorganisationen und Aktivist:innen. Dabei muss Kritik aus Polen gleichberechtigt in den Diskurs um die Rechtmäßigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen einfließen. Insbesondere da die Kriminalisierung von Abbrüchen mit Blick auf die USA keinen polnischen Einzelfall darstellt. Vielmehr braucht es internationale Solidarität und dezidiertes Wissen um reproduktive Rechte, um dem weltweit zu beobachtetem Trend zu Konservatismus und Kriminalisierung entgegen wirken zu können. 

1 https://federa.org.pl/terminacja-ciazy-2019/ [20.11.2022].

2 https://federa.org.pl/dane-mz-aborcje-2021/ [20.11.2022].

3 https://www.asn.org.uk/abortion-without-borders-helps-more-than-34000-people-in-poland-access-abortions/ [20.11.2022].

4 Anja Henning: „Moralpolitik und Religion: Die Abtreibungskontroversen in Polen, Italien

und Spanien“, in: Ulrike Busch und Daphne Hahn (Hrsg.): Abtreibung. Diskurse und

Tendenzen, Bielefeld: transcript Verlag, 2015 

5 Agnieszka Graff: Rykoszetem. Rzecz o płci, seksualności i narodzie, 2008

6 https://federa.org.pl/wp-content/uploads/2013/07/report_federa_20_years_polands_abortion_law.pdf [20.11.2022].

7 https://www.laender-analysen.de/polen-analysen/267/einstellungen-zu-abtreibung-und-zu-den-frauenprotesten/ [20.11.2022}.

8 http://radakonsultacyjna.pl/ [20.11.2022]

9 Eine Übersicht polnischer und internationaler Hilfsorganisationen gibt es hier: https://www.asn.org.uk/abortion-without-borders-helps-more-than-34000-people-in-poland-access-abortions/.

10 https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-08/schwangerschaftsabbrueche-statistisches-bundesamt-arztpraxen-kliniken?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F [20.11.2022].

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