Aus der Kritik der Geschichte unseren Internationalismus finden –  Internationalismus als Grundwert der Juso-Hochschulgruppen

Von Johanna Liebe

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Es gibt wohl selten ein so legendären und wahrscheinlich zumindest den Leser*innen dieser Ausgabe nicht sehr unbekannten Dreiklang, wie der, der die inhaltlichen Werte unseres Verbandes darstellt: Sozialismus, Feminismus und Internationalismus. 

Während wahrscheinlich einigen von uns Sozialismus-Debatten, in denen sich auf Marx und Engels bezogen wurde, nicht ganz unbekannt sind und auch die unterschiedlichen Wellen des Feminismus vielen ein Begriff sind, bleibt in studentischen Kreisen eine theoretische Auseinandersetzung zu unserem dritten Grundwert jedoch oft auf der Strecke. Man mag gar meinen, dass heutzutage versucht wird, unser internationalistisches Grundverständnis durch Europa-Flaggen in Instagram-Biografien oder durch das Singen der Internationalen gegen Mitternacht umfänglich abzudecken. 

Um diesem unzureichenden Versuch entgegenzuwirken, soll dieser Beitrag für einen stärkeren, inhaltlichen Stellenwert von internationalistischer Theorie sowohl aus historischer als auch aus aktueller Perspektive plädieren und gleichzeitig diesen im Kontext unseres Verbandes einordnen. 

Internationalismus kommt selten allein – Internationale Perspektiven unseres Verbands 

Dass wir als internationalistischer Studierendenverband solidarisch an der Seite von internationalen Studierenden in Deutschland sowie mit Studierenden und Wissenschaftler*innen weltweit stehen, ist wahrscheinlich keine große Überraschung. Gerade vor dem Hintergrund, dass unser Hochschul- und Wissenschaftssystem in vielen Hinsichten die nationalen Grenzen in den vergangenen Jahrzehnten überschritten und eine sich im Bologna-Prozess, in der Einführung des Erasmus-Programms oder im Anlaufen der meist elitären Europäischen Hochschulallianzen äußernde Europäisierung durchlaufen hat, erscheint es nur logisch, dass auch unsere hochschulpolitischen Forderungen eine internationale Perspektive aufweisen. 

Jedoch geht mit der derzeitigen Europäisierung bzw. Internationalisierung unterschiedlicher Lebensbereiche, nicht zwingend ein sozialistischer Wandel einher. Eher scheint das Gegenteil der Fall zu sein: Anstatt auf internationalistische Umstürze in europäischen Hochschulen zu hoffen, kamen die vergangenen hochschulpolitischen Maßnahmen auf EU-Ebene größtenteils aus dem bürgerlichen Mitte-Lager und wiesen einen dementsprechend umstürzenden Charakter auf. So gehen mit Vereinheitlichungen und Internationalisierungen meist neoliberale Veränderungen einher. Bestes Beispiel dafür ist der Bologna-Prozess, der das Studium einer grundlegenden Ökonomisierung ausgesetzt hat, wodurch die ökonomische Verwertbarkeit von Studierenden ins Zentrum gerückt wurde und damit auch die leiseste Hoffnung nach einem kritischen und selbstbestimmten Studium unter Studierenden endgültig erloschen ist.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass wir als sozialistischer Studierendenverband die Ausgestaltung eines europäischen Hochschulraums in Teilen kritisch begleitet haben. Dieser Fokus unseres Verbandes auf die Kritik europäischer Reformen im Hochschul- und Wissenschaftsbereich im Themenbereich Internationales führte dazu, dass sich unsere internationalen Debatten meist auf Teilaspekte des europäischen Bildungssystems beschränkt haben. Das Große und Ganze im Blick zu behalten und eine internationalistische Gesellschaftskritik zu formulieren, ist bei unserer alltäglichen politischen Arbeit gar nicht so einfach.  

Zwar ist es unumstritten, dass wir uns dem Trugschluss nationaler Ansätze stets widersetzen und stattdessen einen solidarischen und internationalen Zusammenschluss in jeglichen Politikbereichen anstreben, jedoch stagniert dieser breite Konsens meist bei verbalen Positionen. Das Rufen von berühmten Sprechchören wie «Hoch die Internationale Solidarität!» dürfen für einen internationalistischen Studierendenverband als inhaltliche Grundlage keineswegs ausreichen. Anstatt performativer Versprechungen, brauchen wir ein ausdifferenziertes Internationalismusverständnis, das im Einklang mit unseren universalistischen, sozialistischen sowie feministischen Wertvorstellungen steht. Genau dieses müssen wir anlässlich unseres 50. Geburtstags (zurück-) gewinnen!

Schon wieder Marx und Engels? Eine theoretische und historische Herleitung

Die Vorgeschichte des Internationalismus findet sich in der kommunistischen Theorie wieder. Marx und Engels begründeten die Notwendigkeit eines internationalen Zusammenschlusses von Arbeiter*innen damit, dass «die Proletarier nichts zu verlieren haben als ihre Ketten» (Marx & Engels, 1848). Vielmehr haben sie eine Welt zu gewinnen und sollten sich daher als «Proletarier aller Länder» vereinigen (ebd.). Dieser Schlusssatz des kommunistischen Manifests ist wahrscheinlich vielen von euch geläufig. Marx und Engels betonen damit die untrennbare Symbiose von Sozialismus und Internationalismus. Denn nur ein international zusammengeschlossenes Proletariat, das sich durch die weltweite Angleichung ihrer prekären Lebensbedingungen als proletarische Klasse versteht, könnte demnach dem Kapitalismus den «Todesstoß» versetzen (ebd.). 

Diese Theorie des 19. Jahrhunderts ist sicherlich nicht unbekannt, jedoch bis heute fern der Realität. Anstatt dass sich Arbeiter*innen über Grenzen hinweg vereinen, um sich gemeinsam den ausbeuterischen Verhältnissen des Kapitalismus zu widersetzen, löste sich nach der ersten Internationalen im Jahr 1876, auch die zweite Internationale, mit dem Beginn des ersten Weltkriegs und der Zustimmung unterschiedlicher Arbeiter*innenparteien zu den Kriegskrediten, vorerst auf (Hierlmeier, 2006). Somit erwies sich die marxistische Annahme, dass der immer weiter zusammenwachsende Weltmarkt zu einem Angleich der Arbeitsbedingungen, zur Vereinheitlichung der proletarischen Interessen und somit auch zu revolutionären Bewusstseinsformen der Arbeiter*innenklasse führen solle, bereits einige Jahrzehnte nach der Veröffentlichung des kommunistischen Manifest mit zweifachen Auflösen der internationalen Zusammenschlüsse als gravierende Fehleinschätzung (Hierlmeier, 2006). Hierlmeier (2006) begründet das «Scheitern» des proletarischen Internationalismus  damit, dass unter anderem die Arbeiter*innenklasse in Deutschland sich allen voran als deutsche Arbeiter*innenklasse verstand. Dies lege nach Hierlmeier (2006) daran, dass vom Staat und von der Nation eine weit größere Anziehungskraft als von einem sich international zusammenschließendes Proletariat ausgegangen sei. 

Internationalismus? Aber bitte ohne Antisemitismus und Antiamerikanismus!

Erst mit der Studierendenbewegung der 1960er Jahre begann der Internationalismus sowohl theoretisch als auch praktisch wieder an Bedeutung zu gewinnen. Jedoch weist das damals vorherrschende, internationalistische Verständnis alles andere als einen materialistisch-emanzipatorischen Charakter auf. Vielmehr war dessen theoretische Verortung von purem Antisemitismus gekennzeichnet. Mehr und mehr linke Bewegungen kehrten demnach dem theoretischen Kern des proletarischen Internationalismus sowie dessen politischen Subjekts – der arbeitenden Klasse – den Rücken zu und verschrieben sich einer antisemitischen sowie antiamerikanischen, unter dem Deckmantel des Internationalismus agierenden, Mission. 

Während im Zentrum von Marx und Engels Internationalismusverständnis‘ die «Herr-Knecht-Problematik» zwischen Kapitalist*innen und Arbeitenden im Zentrum der Kritik steht (Hierlmeier, 2006), verfolgte die 68er-Bewegung allen voran das Ziel, die «Dritte Welt» von den herrschenden, kapitalistischen Staaten zu befreien1 (Haury, 2002). 

Dieses Ziel der 60er-Jahre fußt auf einer Sichtweise, die die kapitalistische Welt von einem einheitlich agierenden Machtblock aus Staat und Kapital beherrscht sieht, die wiederum lediglich von einer kleinen Gruppe von Herrschenden gesteuert wird (Haury, 2002). 

Dieser Machtblocks soll von einer formierten Gesellschaft der kapitalistischen Staaten gestützt worden sein, die an einer «verlogenen Heile-Welt-Mentalität» der Nachkriegsjahrzehnte festgehalten, den Nationalsozialismus vollumfänglich verdrängt, den Vietnam-Kriegs unkritisch unterstützt sowie die Einführung des Notstandsgesetzes achselzuckend hingenommen habe (Hierlmeier, 2006). All diese Umstände ließen für die Student*innen der BRD die reale Gefahr einer «formierten Gesellschaft», die sich von einer «postfaschistischen [erneut] zu einer präfaschistischen Gesellschaft» entwickelt, immer größer werden (Negt, 1995).

Auf Basis der damals vorherrschenden Gesellschaftsanalyse nahm demnach das Proletariat keine positive Rolle mehr ein. Vielmehr wurde davon ausgegangen, dass sich Arbeiter*innen der kapitalistischen Staaten, welche aufgrund einer riesigen Kultur- und Manipulationsindustrie, kleinteiliger Befriedigung per Sozialpolitik, geschickter staatlicher Propaganda sowie dem eignen Profit von der imperialen und kolonialen Ausbeutung der sogenannten Dritten Welt dem Phänomen einer formierten Gesellschaft angeschlossen haben. Mit dieser Analyse ging eine Frustration über die Mitbürger*innen darüber einher, dass das eigene Volk ihren Revolutionscharakter gänzlich verloren habe. Folglich wurde in den internationalistischen Bewegungen Ende der 60er Jahre ein neuer Revolutionsbegriff entwickelt, der sich vom Subjekt der Arbeiter*innen abwandte und sich vornehmlich auf nationale Befreiungskämpfe der Länder des Globalen Südens bezog. Die Industriestaaten waren nicht mehr länger der Schauplatz der revolutionären Befreiung und somit wurde auch die Verkörperung der weltrevolutionären Kräfte nicht mehr in ein sich international zusammenschließendes Proletariat, sondern vielmehr in den nationalen Befreiungskämpfen der «Dritten Welt» gesehen (vgl. Haury 2002).

Grundlage für die Weltanschauung dieser linken Bewegung Ende des 20. Jahrhunderts war zum einen Lenins Internationalismus-Theorie, die den brutalen Imperialismus, der als höchstes Stadium des Kapitalismus verstanden wird, da er die Völker der [sogenannten] Dritten Welt «unterdrücke, ausbeute und mit Krieg überziehe» (Haury, 2002).

Zum anderen sind in der damaligen internationalistischen Revolutionstheorie Einflüsse von der Dimitroffschen Faschismusanalyse zu erkennen. Dieser Analyse zufolge definiert sich Faschismus allen voran über die Zerschlagung der Arbeiterbewegung, die Profitinteressen der Kapitalist*innen sowie über die Unterdrückung der Arbeiter*innenschaft und des kommunistischen Widerstands (Haury, 2002). Dahingegen findet der Antisemitismus als faschistisches Merkmal nur am Rande als Ablenkungsmanöver der Herrschenden und als Beispiel für die Brutalität der finanzkapitalistischen Diktatur Erwähnung (ebd.). 

Auf Basis dieser theoretischen Verortung kam es bei der studentischen Bewegung der 60er-Jahre zu einem absoluten Gleichsetzen von Kapitalismus, Faschismus und Imperialismus.  Dieses identische Konstrukt von Imperialismus-Faschismus-Kapitalismus führte zu einem inflationären Gebrauch des Faschismusbegriffs, was fatale Fehlschlüsse zufolge hatte. So war die Faschismusdefinition der 60er-Jahre nicht nur blind für den spezifisch deutschen Antisemitismus, welcher nicht allein auf kapitalistische oder imperialistische Gründe zurückzuführen ist, sondern das Gleichsetzen von Kapitalismus, Imperialismus und Faschismus hatte auch zu Folge, dass die Vereinigten Staaten von Amerika in internationalistischen Debatten das Bild eines kapitalistischen Staats, der das historische Erbe des Faschismus, eingenommen habe, widerspiegelt. Dieses Faschismus-Label wurde nicht nur der USA aufgezwungen, auch all ihre Verbündeten, insbesondere Israel, wurden als Teil eines imperialistischen-faschistischen Systems verstanden (vgl. (Hierlmeier, 2006). 

Die für diese Weltanschauung zentraler Antisemitismus sowie Antiamerikanismus ist kaum zu übersehen und an Absurdität nicht zu übertreffen. Dass eine vermeintlich linke Bewegung, die ihren Ursprung mit der Überwindung nationalsozialistischer Strukturen in der BRD erklärt, in einer antisemitischen Ideologie unter dem Deckmantel des Internationalismus, die den Staat, der einige Jahre zuvor die Welt von Nazi-Deutschland befreit hat, sowie den einzig jüdischen Staat dieser Erde zur Zielscheibe ihrer vermeintlichen antifaschistischen Aktion macht, endet, sagt genug über die damaligen internationalistischen Fehlschlüsse aus. 

Als sozialistischer Verband müssen wir uns in unserer internationalistischen Perspektive ganz besonders personalisierten Interpretationen des Kapitalismus entschieden entgegenstellen. Denn eine völlig unmarxistische, zugleich personalisierend-verschwörungstheoretischen Deutung des ökonomisch-gesellschaftlichen Systems, die auf das Verbreiten von antisemitischen Gedankengut abzielt, darf in unserem Internationalismus niemals Raum einnehmen. 

Die Sehnsucht nach Differenz oder die Notwendigkeit von Universalität?

Aus einer uns wohlgesinnten kritisch-linken Perspektive heraus zu urteilen, war der Wiederbelebungsversuch des Internationalismus in den 60er- und 70er-Jahren ein kläglicher Reinfall. Leider hat sich daran auch in den vergangenen Jahrzehnten nicht groß etwas geändert, denn einen sozialistisch-internationalistischen Durchbruch sucht man hier auch vergeblich.

Dies kann unter anderem daran liegen, dass im Verlauf der letzten Jahrzehnte allen voran postkoloniale Studien in unterschiedlichen geisteswissenschaftlichen Disziplinen die Debatten um eine internationale Gesellschaftsanalysen dominiert haben. Postkoloniale Studien weisen dabei grundlegende Unterschiede zu einem marxistischen Internationalismus auf. Während der Marxismus einen universalen Anspruch seiner Theorien erhebt, in dem er davon ausgeht, dass das internationale System von einer globalen kapitalistischen Produktionsweise gekennzeichnet ist, welche primär gesellschaftsformend ist, ist die hinter dem Postkolonialismus stehende Grundannahme jene, dass sich nicht-westlichen Gesellschaften nicht mit westlichen Theorien erklären lassen können (Chibber, 2018). So entsteht – postkolonialen Theorien zur Folge – durch die Dominanz westlicher Theorien ein Erklärungsvakuum für nicht-westliche Gesellschaften. Um dem entgegenzuwirken, brauche es daher eine Revision grundlegender Begriffe sowie die Entwicklung neuer theoretischer Ansätze, die die verschiedenen Eigenschaften des Kapitalismus im Westen und «im Osten» separat voneinander hervorheben können (vgl. ebd.). 

Mit dieser Ausbreitung postkolonialer Ansätze in akademischen Kreisen ging auch die Abkehr vom historischen Materialismus als theoretisches Analyse- und Erklärungsprinzip in der Wissenschaft einher. Denn während sich die marxistische Theorie stets um eine innere Kohärenz und Systematik bemüht, beschränkt sich der Postkolonialismus auf die Betonung und Akzeptanz von Differenzen (vgl. ebd.). Dies führt dazu, dass sich die Bandbreite an Varianten, die unter die Rubrik der postkolonialen Studien fallen, zunehmend ausbreitet. Somit erfüllt es der Postkolonialismus formell nicht die Bedingungen, um als Theorie zu gelten. Vielmehr  stellt er eine Art politische Praxis dar, welche dazu dienen soll, neben dem (Neo-) Kolonialismus inzwischen auch weitere Formen der Beherrschung und Unterdrückung zu kritisieren und aktiv in Frage zu stellen (Chibber, 2018). Unter dem Postkolonialismus versteht sich demnach vielmehr gemeinsame politische Vorstellungen und Ziele, die sich an unterschiedlichen Theorien bedienen, welche jedoch nicht inhaltlich zusammengebracht werden müssen, sondern mit all ihren Widersprüchen unter dem Deckmantel der postkolonialen Studien koexistieren.

Daran anknüpfend rückte mit dem «beharrlichen Interesse an Kultur und Ideologie» in wissenschaftlichen Kontexten der analytische Ausgangspunkt von «Klasse» und «Kapitalismus», welcher typisch für den historischen Materialismus ist, zunehmend in den Hintergrund (vgl. ebd.). Denn den postkolonialen Studien zur Folge, habe der Kapitalismus nach seiner Ankunft in den Kolonien eine grundlegende Veränderung vollzogen, indem er seinen universalen Trieb verloren und stattdessen eine politische Ordnung geschaffen habe, die mit der europäischen nur noch wenig gemein habe (vgl. ebd.). Dieser Behauptung stehen jedoch Ergebnisse gegenüber, die belegen, dass das kapitalistische System auch für nicht-westliche Gesellschaften ordnungsweisend ist. Demzufolge unterscheiden sich politische Konflikte, institutionelle Strukturen sowie Machtformen im postkolonialen Kapitalismus nicht von seinen europäischen Vorläufern (vgl. ebd.).

Letztere Annahme kann unterschiedlich widerlegt werden. So zeigt beispielsweise die marxistische Lehre aber auch die Empirie, dass das Kapital eine universalisierende Tendenz aufweist. Unter dem was Marx als Kapitalakkumulation beschreibt, versteht sich ein, dem kapitalistischen System inhärentes, Verlangen von Unternehmen, ihre Einnahmen nach jedem neuen Produktionszyklus in zusätzliches Kapital zu verwandeln, um ihre Machtposition zu stärken (Marx, 2017). Das Kapital zielt daher durch seine inneren Reproduktionsmechanismen automatisch auf dessen Expansion ab, was bedeutet, dass Kapitalist*innen aus dem kapitalistischen System heraus zur Expansion getrieben werden und persönliche Eigenschaften, ideologische Verortung oder kulturellem Hintergrund keinen Einfluss auf die kapitalistische Akkumulation haben (Chibber, 2018).

Zudem weist auch der Klassenkampf eine universelle Gültigkeit auf. Chibber (2018) verweist auf die universelle Gültigkeit von Grundbedürfnissen sowie darauf, dass soziale Akteure unabhängig ihrer Kultur diese in Konfrontation mit dem kapitalistischen System formuliert haben. Die psychologische Stütze europäischer Arbeiter*innen, die mithilfe von Grundfreiheiten ihr Wohlergehen verbessern wollen, basiert demnach nicht auf einem sogenannten «Genie der europäischen Kultur», sondern auf dem universellen, menschlichen Interesse nach Grundbedürfnisbefriedigung (ebd.). 

Mit diesem kleinen Ausschnitt aus der materialistischen Kritik an postkolonialen Studien soll lediglich ein Anfang gemacht werden. Ein Anfang, der zur weiteren Kritik und zur Überprüfung der Übereinstimmung postkolonialer Theorie mit unseren Grundwerten anregen soll. Dabei möchte ich keineswegs darauf abzielen, den antirassistischen Kampf sowie den Einsatz zur Überwindung postkolonialer Strukturen zu schmälern. Die beschriebene Kritik richtet sich nicht an der politischen Praxis, sondern allein an der theoretischen Analysemethode, welche mit ihren kulturrelativistischen Ansätzen der internationalistischer Grundannahme eines kollektiven Zusammenschlusses mit universalen Situationen sowie Positionen gänzlich widerstrebt. 

Für uns als Verband bedeutet das, dass wir, anstatt in einen anti-aufklärerischen Partikularismus und Relativismus zu verfallen, stets das universelle Programm des Kapitals, des Klassenkampfs sowie der Frauenbefreiung von patriarchaler Unterdrückung im Zentrum unserer Analyse behalten müssen. Wir dürfen uns nicht der vergeblichen Suche nach kulturellen Differenzen hingeben, sondern unser sozialistisches Verständnis bedienen und gesellschaftliche Kritik formulieren, deren Definitionen nicht von geographischen Koordinatoren abhängig ist.

Die nächsten 50 Jahre? Internationalistische Juso-Hochschulgruppen legen los

Als sozialistischer, feministischer und internationalistischer Studierendenverband liegt einiges vor uns. Nicht nur zeitlich, auch inhaltlich gesehen. Während sich aktuelle Debatten meist in differenzpolitischen oder identitätspolitischen Standpunkten festfahren, müssen wir eine gesellschaftskritische, emanzipative sowie allen voran internationalistische Ideen anbieten. In deren Zentrum der universelle Impuls des Sozialismus steht, der für eine globale Gesellschaft der Freien und Gleichen und für eine kollektive, materielle sowie feministische Befreiung weltweit kämpft. Willkürlichen Grenzen – weder nationale noch andere – müssen hierfür endlich der Vergangenheit angehören. 

Literaturverzeichnis

Chibber, V. (2018). Postkoloniale Theorie und das Gespenst des Kapitals. Karl Dietz Verlag. 

Haury, T. (2002). Antisemitismus von links. Kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in der frühen DDR, Hamburg, 30. 

Hierlmeier, J. (2006). Internationalismus: eine Einführung in seine Ideengeschichte-von den Anfängen bis zur Gegenwart. (No Title). 

Marx, K. (2017). Das Kapital: Band 1-3. e-artnow. 

Marx, K., & Engels, F. (1848). Das kommunistische Manifest. In: Anaconda.

Negt, O. (1995). Achtundsechzig: politische Intellektuelle und die Macht. 

1 Dabei ist anzumerken, dass nicht die Parteinahme für die Befreiungskämpfe von Ländern des Globalen Südens oder die grundsätzliche Kritik (spät-)kolonialer Machtpolitik Gegenstand meiner Kritik sind, sondern die grundsätzliche Vereinfachung und die Grundstrukturen dieser Weltansicht, welche als Steigbügelhalter für Antisemitismus und Antiamerikanismus dienen, werden in der folgenden Kritik adressiert.

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