Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt an Hochschulen – Warum gerade jetzt feministische Hochschulen notwendig sind!

Von Sabrina Osmann, Clara Schüssler

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Lange wurde über Missbrauchsfälle an Hochschulen geschwiegen. In den letzten Jahren wurden jedoch immer mehr Fälle von Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt an Hochschulen publik. Allein seit Beginn des Jahres wurden so viele Fälle an Hochschulen in ganz Deutschland bekannt, dass die Notwendigkeit der Skandalisierung sexualisierter Gewalt an Hochschulen nicht mehr von der Hand zu weisen ist! 

Köln, Dezember 2022: Zwei ehemalige Doktorandinnen machen Fälle von sexueller Belästigung, Machtmissbrauch, Beleidigungen, Erniedrigung, Wutausbrüchen und permanenten Grenzüberschreitungen durch ihren Chef, einen Professor an der Universität zu Köln, öffentlich. Er sprach die Frauen mit «Puppe» oder «Schlampe» an, nahm sie mehrmals zu Ausflügen in Stripclubs mit und näherte sich ihnen auf Weihnachtsfeiern ohne ihr Einverständnis sexuell an. Ende 2019 legte die erste Doktorandin Beschwerde beim Rektor der Uni ein, darauf folgten schriftliche Beschwerden von insgesamt zwölf Frauen. Es kam zu einem Disziplinarverfahren, das parteiisch, mit «victim blaming» und intransparent ablief. Das Verfahren ist bis heute nicht abgeschlossen. Die Frauen haben ihr Arbeitsverhältnis bereits lange gekündigt oder auslaufen lassen. Der Professor lehrt heute noch uneingeschränkt weiter an der Uni Köln.

Köln, März 2023: Einer Professorin der Universität zu Köln wird auf dienstliche Anordnung des Rektors die Weisungsbefugnis gegenüber ihren Doktorand*innen entzogen. Vorausgegangen sind die Beschwerden mehrerer Promovierenden und Angestellten, die Professorin schaffe ein «Klima der Angst», beleidige die Wissenschaftler*innen als «dumm», «nutzlos» oder «behindert». Auch schildert eine Promotionsstudentin wiederholte sexualisierte Annäherungen. Die Beschwerden lagen der Universität bereits seit eineinhalb Jahren in Form eines 50-seitigen Berichts vor.

Göttingen, März 2023: Der Bundesgerichtshof hat ein Urteil gegen einen an der Georg-August Universität Göttingen lehrendem Professor teilweise aufgehoben, der zuvor wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt, Freiheitsberaubung und Nötigung zwei ehemaligen Doktorandinnen sowie einer ehemaligen Mitarbeiterin schuldig gesprochen wurde. Er drohte den Frauen, sie bei Widerspruch zu entlassen. Zuletzt wurde das Urteil zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung herabgesetzt.

Erfurt, März 2023: Ein Professor der Universität Erfurt ist nach jahrelangen gerichtlichen Anstrengungen aus dem Dienst der Uni und somit aus dem Thüringer Hochschuldienst entlassen worden. Er hatte zwei Studentinnen mit dem Versprechen besserer Noten zum Sex gedrängt und war darüber hinaus für sexualisiertes, übergriffiges Verhalten bekannt. Nachdem ein Urteil 2020 die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zunächst als nicht rechtmäßig begründet hatte, da die volljährigen Studentinnen keine Schutzbefohlenen mehr seien, verlor er nun endgültig seine Professur.

Gelsenkirchen, April 2023: Ein Professor der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen soll mehrere Studenten  mindestens seit 2019 sexuell belästigt haben. Die Betroffenen berichten von Liegestützen als Strafmaßnahme für verspätete Abgaben, ungewollten Berührungen, Begegnungen in der Privatwohnung des Profs, Einladungen zur Übernachtung in einem gemeinsamen Bett. Die Uni leitete die vorläufige Dienstenthebung und die Einleitung eines Disziplinarverfahrens ein.

Alles nur Einzelfälle? Immerhin sind Hochschulen doch die Orte der Wissenschaft, der Intellektualität sowie eines offenen, aufgeklärten und toleranten Umgangs schlechthin. Hochschulleitungen wie der Rektor der Universität zu Köln, Axel Freimuth, jedenfalls verschließen nach Bekanntwerden von Missbrauchsfällen oftmals immer noch ihre Augen vor einem strukturellen Problem: «Daraus ergeben sich für mich keine Anhaltspunkte, dass wir ein ausgeprägtes ‚MeToo-Problem‘ haben», äußerte sich Freimuth auf einer Pressekonferenz. Obwohl die beispielhaft genannten Fälle individuelle Unterschiede bei Täter, Taten und Konsequenzen aufweisen, kann ein gemeinsamer Zusammenhang mit patriarchalen und hierarchischen Hochschulstrukturen nicht länger geleugnet werden.

Ein Muster hinter den Einzelfällen

Die wissenschaftliche Praxis bildet einen Ausschnitt unserer Gesellschaft und ist als solcher niemals frei von Machtgefällen, Sexismen und anderen Diskriminierungsformen. Mehr noch: sie begünstigt durch das Aufeinanderprallen von verbeamteten Professor*innen1 mit extrem sicheren und hoch angesehenen Status einerseits und prekär Beschäftigten, von den Professor*innen stark abhängigen Mitarbeitenden andererseits, eine Atmosphäre, die viel unkontrollierten Platz für Machtmissbrauch bietet. In der Gesellschaft verankerte Diskriminierungsformen wie Sexismus und Rassismus werden an der Hochschule wie überall reproduziert und als Mittel der Herabsetzung und Machtsicherung ausgenutzt.

Kommt es zu Übergriffen, werden Opfer von Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt oft nicht wahrgenommen oder von institutioneller Seite unterstützt. Anstatt in einem ersten Schritt strukturelle Probleme an Hochschulen anzuerkennen und kritisch zu hinterfragen, wird sich oftmals auf die individuelle Ebene der Betroffenen fokussiert. Ihre Glaubwürdigkeit wird infrage gestellt, sie werden alleine gelassen und es wird «victim blaming» betrieben. Unabhängig davon, dass nur in den seltensten Fällen strafrechtliche Konsequenzen auf Taten im Hochschulraum folgen, versagen die Universitäten selbst im organisationalen Umgang mit Fällen sexualisierter Gewalt.

Dies bestätigt auch eine im November 2022 veröffentlichte Studie des Kölner Leibnitz-Instituts für Sozialwissenschaften. Sie belegt, dass ein Drittel der Studierenden und Mitarbeitenden an deutschen Hochschulen bereits mindestens einmal sexuell belästigt wurden und 62 Prozent eine Form von geschlechtsbezogener Gewalt – d.h. entweder physische, psychische, sexuelle oder wirtschaftliche Gewalt gegenüber einer Person aufgrund ihres Geschlechts – erfahren haben. Frauen sind davon deutlich häufiger betroffen als Männer. Lediglich 13 Prozent der Betroffenen von geschlechtsbezogener Gewalt meldeten dies auch – teils aus Unsicherheit, ob die Erfahrung ernst genug gewesen sei, teils aus der Befürchtung heraus, dass Konsequenzen für die Täter ohnehin unwahrscheinlich erscheinen. Umso erschreckender ist es, dass 40 Prozent der betroffenen Mitarbeitenden nach der Tat in Erwägung ziehen, den akademischen Sektor zu verlassen und ebenso viele betroffene Studierende ihr Studium abbrechen oder ähnliche harte Folgen für ihre eigene akademische Laufbahn treffen wollen.2

Universitäten begünstigen sexualisierte Gewalt

Hochschulen versagen regelmäßig in ihrem Anspruch, ein sicherer und diskriminierungsfreier Ort für Wissensaustausch, Bildung und akademische oder nicht-akademische Laufbahn zu sein. Auch ist es ein von organisationalen Akteur*innen oft vertretener Irrglaube, dass Universitäten geschlechtsneutrale Einrichtungen wären und damit allen Geschlechtern gleiche Voraussetzungen für wissenschaftliche Bildung schaffen würden.

Ein Blick auf ihre Geschichte zeigt das Gegenteil. Die Institutionalisierung der modernen Wissenschaften im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts erfolgte parallel zum durch die Wissenschaft legitimierten Dualismus der Geschlechterverhältnisse. Das bedeutet: Wissenschaftliche Institutionen sind unter Ausschluss von und in Abgrenzung zu Frauen entstanden. Heute sind zwar über die Hälfte der Studierenden weiblich, das wissenschaftliche Feld bleibt jedoch ein von Männern dominiertes. Nicht nur werden Entscheidungen an Hochschulen mehrheitlich von Männern getroffen und Professuren größtenteils von Männern bekleidet. Auch konstituiert sich patriarchale Macht im sozialen Raum der Wissenschaft, in welcher zusätzlich heute mehr denn je ein neoliberal bedingter Wettbewerbsdruck herrscht. Als «typisch männlich» angesehene Eigenschaften wie Stärke, Individualismus und Konkurrenzdenken werden in diesem Raum gefördert, um symbolische Güter und Rangfolgen wird gekämpft. Dies hat zur Folge, dass strukturelle Ungleichheiten fortbestehen können, sexualisierte Gewalttaten lediglich auf individueller Ebene Auswirkung auf das Leben, Studium und die Karriere von Betroffenen haben, anstatt Folgen für die Täter mit sich bringen und Frauen nach wie vor in benachteiligten Positionen und Abhängigkeit bleiben.3

Das Ignorieren von Machtasymmetrien zwischen Professor*innen und ihrem «wissenschaftlichen Nachwuchs» öffnet gerade ein breites Feld für Machtmissbrauch, das besonders wissenschaftlich Beschäftigte in der Qualifikationsphase betrifft. Ihre akademische Laufbahn hängt in großem Maße von der Gunst ihrer Vorgesetzten ab, die sowohl Einfluss auf die Bewertung ihrer Arbeit und ihren Reputationsaufbau im Feld als auch auf ihre Weiterbeschäftigung haben. Neoliberale Arbeitsbedingungen mit befristeten Verträgen erhöhen diese Vulnerabilität nochmals.

Sexualisierte Gewalt ist ein systematisches Problem, welches an Hochschulen als solches verstanden und (präventiv) bekämpft werden muss. Anstatt anzuerkennen, dass Hochschulen gerade aufgrund ihrer institutionell starken Hierarchien und daraus folgenden ungleichen Schutzmechanismen strukturelle Probleme mit Diskriminierung, Sexismus und Machtmissbrauch begünstigen, genügt es vielen Hochschulleitungen, auf ihr vergleichsweise hohes Level an Gleichstellung zu verweisen, das zum Beispiel mit dem Schaffen von Stellen wie Gleichstellungs- und Diversitätsbeauftragten sowie Ombudspersonen erreicht wäre. Täter können – sofern sie verbeamtet sind – aufgrund dieses Systems nicht einfach gekündigt werden, sondern können lange Zeit unter Auszahlung anteiliger oder auch voller Bezüge, Erhalt ihres Beamtenstatus und in Erwartung meist niedriger Strafen auf einen Gerichtsprozess warten, der über ihre Entlassung entscheiden muss.

Ergebnisse einer 2021 erschienenen Studie von Egner & Uhlenwinkel belegen, dass selbst im Fall von Entlassungen von Professor*innen wegen Fehlverhaltens geschlechterbezogene Machtwirkungen im Spiel sind. Bei diesen handele es sich in letzter Zeit zu einem hohen Anteil um weibliche Professorinnen, denen Führungsfehlverhalten vorgeworfen wurde. Darunter fällt auch der Fall der Professorin der Universität zu Köln. Erklären könne man dies durch das Wirken eines «unconscious bias» bezogen auf weibliches Führungsverhalten. Dieses wird ungleich bewertet, selbst wenn sich männliche und weibliche Führungspersonen identisch verhalten.4

Feministische Hochschulen brauchen wir!

Hochschulen sind ein Ort für Lehre und Forschung, die durch ihr wissenschaftliches Arbeiten die Gesellschaft beeinflusst und prägt. Aus diesem Grund ist es besonders notwendig, dass feministische Praxis und Kritik endlich in das Zentrum der Hochschulen rücken. In allen Bereichen der Lehre braucht es mehr feministische Perspektiven. Das einerseits auf Seite von Betroffenen, andererseits auf Seite der Universitäten tabuisierte Thema der sexualisierten Gewalt muss enttabuisiert werden. Andernfalls werden Betroffene weiterhin keinen Schutz in universitären Räumen genießen können, sondern ihre Wahrnehmung weiterhin angezweifelt und die Konsequenzen nur ihnen auferlegt werden.

In hochschulöffentlichen Debatten muss insbesondere der Blick auf geschlechtsbezogene Machtverhältnisse in Organisationen geschärft werden: Sexualisierung muss im Hochschulkontext als Mittel zur Machtsicherung in Arbeitsbeziehungen begriffen werden. Nur durch die Anerkennung, dass Machtstrukturen und Hierarchien im Einklang mit der Funktionsweise der wissenschaftlichen Arbeit an Hochschulen stehen, können die richtigen Mittel im Kampf gegen sexualisierte Gewalt eingesetzt werden. Beschäftigungsverhältnisse zwischen Professor*innen und Mitarbeitenden sollten auf der einen Seite formalisiert und kontrolliert werden und auf der anderen Seite stabilisiert und entfristet werden.

Auch die dringend notwendige Quotierung auf allen Ebenen des akademischen Betriebs allein reicht nicht aus. Um machtsensible Instrumente zu schaffen, braucht es effizientere Kontrollmechanismen, die präventiv Übergriffen vorbeugen. Dabei sind folgende Beispiele aufzuführen: regelmäßige Fortbildungen, Errichten von Safer Spaces an der Uni, Information über Beratungs- und Beschwerdeangebote – als auch im Missbrauchsfall die konsequente Aufarbeitung und den Schutz von Betroffenen gewährleisten können.

Die Debatte muss zudem um eine intersektionale Perspektive erweitert werden – also der Sensibilisierung der unterschiedlichen leidvollen Erfahrungen durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Unterdrückungsmechanismen. Im Zusammenspiel von Rassismus, Kapitalismus und Sexismus bedarf es einer stärkeren Sensibilität seitens der Hochschulen, der Professor*innen und Anlaufstellen. d.

Der Forschungsstand zu sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch reicht nicht aus. Hochschulen müssen dazu beitragen, dass es regelmäßige Erhebungen und Veröffentlichungen von Fällen von Machtmissbrauch, sowie Statistiken zu diskriminierungsbezogener Beratung gibt.

Durch Aufklärung, strengere Verpflichtungen und Kontrollen, konsequenter Verfolgung, transparente Beschwerdeverfahren und regelmäßige Sensibilisierung kann Machtmissbrauch in Hochschulen aufgebrochen werden. Dafür zu kämpfen, dass die ständige Wiederholung dieser Vorfälle und somit die ständige Leiderfahrung der Studentinnen und  junger Wissenschaftlerinnen endlich ein Ende nimmt, muss weiterhin fester Bestandteil der Juso-Hochschulgruppen sein!

1 Der Anteil an Frauen unter den Professor*innen ist ohnehin gering. Im Falle der (sexualisierten) Gewalt und des Machtmissbrauch ist der Anteil an männlichen Tätern im Vergleich zu weiblichen Täterinnen deutlich höher.

2 https://unisafe-gbv.eu/wp-content/uploads/2022/11/UniSAFE-survey_prevalence-results_2022.pdf.

3https://duepublico2.uni-due.de/servlets/MCRFileNodeServlet/duepublico_derivate_00075102/netzwerk_fgf_studie_nr_37

.pdf.

4https://www.bzh.bayern.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/Beitraege_zur_Hochschulforschung/2021/Beitraege-2021-1-2-Egner-Uhlenwinkel-Nov-2021-b.pdf.

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