Italiens unscheinbarer Weg in die Autokratie

Jan Hillgruber

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Ein Beispiel aus Südeuropa 

Der Anstieg von Rechtspopulismus und Rechtsextremismus ist kein deutschland-spezifisches Phänomen. Tatsächlich steht die deutsche demokratische Parteienlandschaft im internationalen Vergleich noch recht geschlossen gegen eine Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten. Um die Macht des Rechtspopulismus in der Welt zu verstehen, bedarf es keines weiten Blickes über den Teich in die USA oder nach Brasilien. Der Rechtspopulismus hat auch in Europa schon seit Jahren wieder Fuß gefasst und bohrt mit starkem Gerät an dem Fundament der freiheitlich-demokratischen europäischen Ordnung.

Europas Rechtsextremisten in Regierungsbeteiligung 

Wer wissen möchte, wie stark die Rechtsextremisten in Europa sind, muss nur auf ihre zahlreichen Regierungsbeteiligungen blicken. Dabei muss differenziert werden zwischen direkter Regierungsbeteiligung, also Regierungsführung oder Koalitionspartner, und indirekter Regierungsbeteiligung. Letzteres meint die Unterstützung einer Minderheitsregierung, ohne jedoch Mitglied in der Regierung zu sein und Regierungsämter zu bekleiden. Auch wenn eine indirekte Regierungsbeteiligung formal schwächer wirkt als die direkte Regierungsbeteiligung, so sollte auch diese Form der Einflussnahme nicht unterschätzt werden. Auch hier ist die Regierungsfähigkeit nur unter Gnaden der Rechtsextremisten möglich, jedoch ohne dass jene in der Öffentlichkeit direkte Verantwortung für die (Fehl-)Entscheidungen der Regierung tragen müssen. Ein prominentes Beispiel für diese indirekte Beteiligung von Rechtspopulisten stellt derzeit Schweden dar, wo die Schwedendemokraten die Minderheitsregierung des Ministerpräsidenten Ulf Kristersson tolerieren. 

Einen besonders besorgniserregenden Aufstieg haben die postfaschistischen «Fratelli d’Italia» in Italien hingelegt. Während sie bei den Parlamentswahlen 2018 gerade mal 4,8% erhielten, gewannen sie 2022 mit einem Zuwachs von ca. 21% nicht nur den Status der stärksten Kraft, sondern auch das Amt der Ministerpräsidentin. Parteichefin Giorgia Meloni wurde mit Hilfe einer unheiligen Allianz aus den Rechtspopulisten der «Lega» um Matteo Salvini und der rechtskonservativen «Forza Italia»  um Skandalpolitiker und Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi erste Ministerpräsidentin Italiens. Und obwohl aufmerksame Politikbeobachter um die Instabilität italienischer Koalitionsregierungen wissen – seit 2020 ist Melonis Regierung die dritte – so scheint Meloni ihre Koalition fest im Griff zu haben. So scheute sie nicht davor zurück, Berlusconi für seine Äußerung in Bezug auf den russischen Krieg in der Ukraine zurechtzuweisen. Berlusconi, dessen Tod diesen Sommer Schlagzeilen machte, galt als Busenfreund von Putin und hielt sich auch nach der russischen Großinvasion nicht zurück, diese Freundschaft und Verbundenheit zu zeigen. So erklärte er im Oktober 2022, seine Beziehung zu Putin sei wiederhergestellt. Im Februar 2023 beschuldigte er sogar den ukrainischen Präsidenten Selenskyj, den Krieg bewusst und gewollt provoziert zu haben. Meloni hingegen reagierte kühl und versicherte den ungebrochenen Willen ihrer Regierung, die Ukraine zu unterstützen. Denn trotz aller diplomatischen Befürchtungen, Italien würde sich unter der neuen rechtsextremen Regierung von dem westlichen und europäischen Bündnissystem entfernen und dieses von innen heraus attackieren, zeigt sich Meloni auf internationaler und besonders auf europäischer Ebene als kooperative und verlässliche Partnerin. Wie lässt sich diese unkonfrontative Haltung auf europäischer Ebene erklären?

Gründe für die vermeintlich unkonfrontative Außenpolitik Melonis 

Zunächst ist die fehlende Regierungspraxis Melonis und vieler ihrer Minister ein nicht zu unterschätzender Grund. Im Gewusel in Brüssel schwimmt es sich als Neuling leichter mit dem Strom als dagegen. Das einzige Kabinettsmitglied mit guten Beziehungen in Brüssel ist der ehemalige EU-Kommissar und Parlamentspräsident Antonio Tajani von der «Forza Italia», der das Amt des Außenministers bekleidet. Die Reputation und Netzwerke eines Mario Draghi, Regierungschef vor Meloni, bringt die zentrale Figur der Regierung, die Ministerpräsidentin selbst, aber nicht mit. So kommt auch die Friedrich-Ebert-Stiftung in Rom zu dem Schluss, dass vor allem die fehlenden Erfahrungen und Netzwerke der neuen Regierung in Brüssel zentrale Gründe für ihre außenpolitische Konformitätshaltung sind.1 Neben diesem immateriellen Grund trägt ein materieller Grund ebenfalls in hohem Maße zur Zurückhaltung Melonis auf europäischer Ebene bei. Italien ist der Hauptempfänger des 2020 beschlossenen und 2021 realisierten Programms Next Generation EU. Dieses umfasst 750 Milliarden, die zweckgebunden an die Mitgliedstaaten ausgezahlt werden, um die Wirtschaft nach Corona zu revitalisieren. Italien, selbst schwer durch die Corona-Krise getroffen, erhält daraus den größten Anteil der Unterstützung mit 191,5 Milliarden Euro. Dabei werden ca. 69 Milliarden Euro als sogenannte Grants vergeben, sind also nicht rückzahlungspflichtig. Die restlichen 123 Milliarden Euro werden als Kredit vergeben und sind dementsprechend zurückzuzahlen. Berechnungen der italienischen Regierung prognostizieren für 2026 ein Wirtschaftswachstum von 3,6%, das auf diese Gelder zurückzuführen sein wird. Somit hat Italien ein enormes Interesse daran, diese Gelder abzurufen. Nun verursachte die Corona-Pandemie nicht nur durch diese erstmalige Aufnahme gemeinsamer europäischer Schulden einen historischen Schritt in der EU-Finanzpolitik, sondern auch durch die im selben Zeitraum wirksame Einführung des Konditionalitätsmechanismus im EU-Haushalt. Dieser Mechanismus knüpft die Auszahlung von EU-Mitteln an den Stand der Rechtsstaatlichkeit in dem jeweiligen Mitgliedstaat. Für Melonis Regierung in Italien bedeutet das, dass sie sich beispielsweise eine menschenverachtende Asylpolitik, die rechtsstaatliche Prinzipien außer Acht lässt und sie in der EU in Ungnade fallen lässt, schlichtweg nicht leisten kann. Für alle Demokratinnen und Demokraten Europas bedeutet dies hingegen, dass wehrhafte Instrumente auf europäischer Ebene, wie der Konditionalitätsmechanismus, wirken und gebraucht werden.

Die zweite Seite der Medaille: Melonis demokratiefeindliche Innenpolitik 

Die außenpolitische Stille kompensiert Meloni mit der Ankündigung weitreichender innenpolitischer Reformen. Einerseits ist aus sozialdemokratischer Perspektive die weitgehende Streichung des Bürgergelds zu nennen. Diese staatliche Unterstützung für erwerbslose Bürgerinnen und Bürger erhalten momentan 1,8 Millionen Italiener. Per SMS wurden sie informiert, dass ihre Lebensgrundlage alternativlos gestrichen wird. Die Aushöhlung des Sozialstaats passt zum schlanken Staatskonzept der rechten Regierungskoalition. Die katastrophalen Folgen für die Betroffenen werden ignoriert. Ebenfalls ignoriert Melonis Regierung Grundprinzipien der Demokratie. So veröffentlichte sie jüngst ihren Plan für weitreichende Verfassungsänderungen. Sie schlägt vor, dass fortan das Amt des Ministerpräsidenten direkt gewählt wird. Für den Sieg reicht eine einfache Mehrheit in einem einzigen Wahlgang. Derjenige, der diese erhält, wird nicht nur Ministerpräsident für 5 Jahre, sondern erhält obendrein 55% der Mandate in beiden Parlamentskammern. Offiziell begründet wird die Reform mit dem Wunsch, stabilere Regierungen zu formen. Angewandt auf die Realität würden diese Verfassungsänderungen bedeuten, dass, sofern man aktuelle Umfragen nach Parteipräferenz auf deren Vorsitzende zurückführen kann, Meloni mit 29% der Stimmen gewinnen und allein damit für fünf Jahre stabile Mehrheiten erhalten würde. Dass sie durch 71% der Italiener nicht gewählt wurde, würde keine Rolle mehr spielen. Eine solche Missachtung des Wählerwillens ist schlichtweg undemokratisch und verdeutlicht nur das krude Demokratieverständnis von Populisten: die Diktatur der einfachen Mehrheit. 

Zur Notwendigkeit einer aufmerksamen Strategie gegen Rechts

Demokratinnen und Demokraten in Italien müssen sich nun geschlossen gegen diese Verfassungsreform zeigen. Meloni benötigt für die Durchsetzung in beiden Kammern eine Zwei-Drittel-Mehrheit, die sie bislang nicht besitzt. Sollte die Reform in einer der Kammern scheitern, so würde ein Referendum entscheiden. Auch hier ist es entscheidend, dass die demokratische Opposition geschlossen auftritt. Zuletzt ist es im Hinblick auf die nächste Wahl entscheidend, dass ein starkes Mitte-Links-Bündnis gemeinsam gegen das Regierungsbündnis antritt, sodass die im Wahlrecht vorgesehenen Ein-Personen-Wahlkreise nicht wie 2022 zu 80% an das rechte Bündnis fallen. In Italien selbst gilt es also, demokratische Bündnisse zu schmieden. 

Europäische Demokratinnen und Demokraten hingegen müssen aufmerksam bleiben. Wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, Meloni regiere in Italien so zurückhaltend wie ihre Außenpolitik zunächst vermuten lässt. Im Gegenteil versucht sie, ihre Macht langfristig zu sichern und das italienische politische System zu autokratisieren. Sobald sie das erreicht hat, wird sie auch in ihrer Außen- und Europapolitik aggressiver auftreten, um ihre Wählerschaft zu befriedigen. Dazu dürfen wir es nicht kommen lassen und müssen die Europäische Union befähigen, «democratic backsliding» im Inneren der Union aktiv und effektiv entgegenzutreten. Der Konditionalitätsmechanismus im Haushalt kann dafür nur ein Instrument in einem umfassenden Paket «Demokratische EU» sein. Mit ihrer historischen Erfahrung im Kampf gegen Rechtsextremismus ist die Sozialdemokratie ein idealer Ort, diese Instrumente weiterzuentwickeln. 

 

1 Feltri, Stefano: Eine brüchige Macht. Giorgia Meloni und die neue Rechte: ein Jahr an der Macht, URL: https://library.fes.de/pdf-files/bueros/rom/20687.pdf (Oktober 2023). 

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