Katharina Hellbach: Ist das Private noch politisch? – Zur Notwendigkeit feministisch formulierter Anliegen in der androkratischen Postdemokratie

Postdemokratische Gesellschaft=Androkratische Gesellschaft? Katharina Hellbach beschäftigt sich mit der Androkratie als Symptom einer postdemokratischen Gesellschaft und thematisiert das Problem, wonach die „Integration von einem wie auch immer gearteten Feminismus in eine eingeschlafene politische Diskussionskultur“ schwierig sei.

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«Es kommt doch ohnehin auf dasselbe ’raus.» Ein geflügelter Satz, der die Frustration vieler Bürger*innen vor dem Hintergrund der Bundestagswahl in Deutschland auf den Punkt bringt. Gleichwohl wer nach der Wahl die Fäden auch ziehen mag, Veränderung werde sich nicht einstellen. Der politische Einheitsbrei schmeckt nicht und trotz alledem ist von Aufbruchsstimmung und wachsendem politischen Engagement vonseiten der Wähler*innen wenig zu spüren. Welche Gefahr von dieser wechselseitigen Stagnation – die faktische Entmachtung parlamentarischer Strukturen durch strategische Lobbyarbeit auf der einen sowie die passive Rolle der Bürger*innen auf der anderen Seite – ausgeht, wird rasch deutlich: Die Flucht in den sicheren Hafen des «Eigentlich ist doch alles schön»-Konservatismus wird immer verlockender, Rechtspopulist*innen jubeln über zweistellige Ergebnisse, die sie unter anderem den Einstellungen politikverdrossener Protestwähler*innen verdanken. Vor allem jedoch ist es die nicht enden wollende Trägheit, die die Gesellschaft prägt – und das trotz schwierigster Außen- und innenpolitischer Verhältnisse. Der Diskurs verkommt um eine Debatte der Debatte wegen und vermag die Menschen nicht mehr zu fesseln und zu Widerspruch zu bewegen, sondern hält sie in immer gleichbleibenden Scheindiskussionen fest. Dass derlei Formen postdemokratischer Phänomene existieren, steht außer Frage – wagt mensch jedoch einen Perspektivenwechsel, werden offenkundige Unterschiede der Auswirkungen dieses Trends für verschiedene Geschlechter sichtbar. Das Ziel der nachfolgenden Analyse wird daher sein, den Begriff der Postdemokratie feministisch zu rezipieren und gleichsam zu verdeutlichen, weshalb ein solches Vorhaben im Grunde ein eigenes Buch beanspruchen müsste.

#metoo – eine Gesellschaft enttarnt sich

Als ein bemerkenswertes und gleichsam erschreckendes Beispiel für die Konsequenzen einer abhanden gekommenen Diskussionskultur müssen wir davon sprechen: #metoo, eine Kampagne in den sozialen Netzwerken, mithilfe derer Menschen allerorts die Möglichkeit gegeben wird, ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Tabuthema «sexuelle Belästigung» öffentlich zu machen. Die Resonanz war überwältigend – erschreckend überwältigend. Bei genauerer Betrachtung der Materie wird deutlich, dass die Aktion gleich auf mehrere Problemfelder hinweisen kann: Sexuelle Belästigung (vor allen Dingen gegenüber Frauen*) findet – trotz gleichheitsgebietender Rechtslage – noch immer regelmäßig statt. Eine repräsentative Erfassung der Taten ist kaum möglich, sowohl im Berufsumfeld als auch Privat liegen die Dunkelziffern vermutlich noch höher, als wir uns vorstellen möchten. Viele Betroffene entscheiden sich aus Scham, Angst vor etwaigen Konsequenzen oder auch Unsicherheit bezüglich der Rechtslage gegen die Einleitung entsprechender Maßnahmen. Eine EU-Studie aus dem Jahre 2014 besagt: Jede dritte Frau in Europa war mindestens einmal von sexueller, beziehungsweise körperlicher Gewalt betroffen.[1] Angesichts solcher Studienergebnisse stellt sich notwendigerweise die Frage, weshalb derlei Taten nicht schon früher, ohne den Rahmen einer weltweiten Kampagne, öffentlich gemacht wurden. Genau hier liegt die Problematik struktureller Ungleichheit: Eine öffentliche Anprangerung von Täter*innen wird nicht selten mit einer eigennützigen Verunglimpfung gleichgesetzt, ungeachtet der Tatsache, dass nur in den seltensten Fällen unbegründete Anklagen stattfinden. Darüber hinaus wird nach wie vor von «Komplimenten» statt von Belästigungen gesprochen, ein «Stell dich nicht so an!» erscheint wirksam, unterdrückt jedoch klar das Recht einer Person auf ihren Körper.

Es wird deutlich: Anliegen zum Thema Geschlechtergerechtigkeit sind innerhalb postdemokratische Gefüge nur schwer artikulierbar. In wellenförmigen Abständen werden Skandale laut, die einen scheinbar endgültigen Fokus auf die Problematik legen – im Endeffekt bleibt es jedoch oftmals nur bei einem Strohfeuer. Diese Formen eines medialen Aufschreis bleiben außerdem selten und können eine dauerhafte und zielführende Debatte zu den strukturellen Umständen sexueller Belästigung nicht ersetzen. Zu den Symptomen einer postdemokratischen Gesellschaft gehört die Androkratie daher natürlicherweise, da ein Aufbruch in Richtung einer geschlechtergerechten Gesellschaft nach einer kohärenten feministischen Agenda verlangt. Diese wiederum kann jedoch in Ermangelung eines lebedingen Diskurses nicht verabschiedet werden – aus einer Vielzahl von Gründen.

Feminismus in der Postdemokratie – Sein, Nicht-Sein und Wie-Sein

Zwei Hauptproblemfelder gehen hierzulande mit der Forderung einer feministischen Agenda einher, die grundsätzlich nach der Etablierung einer geschlechtergerechten Gesellschaft strebt. Zum einen ist es – wie zu erwarten – das Wohlfahrtssystem, welches im Falle eines konservativ-korporatistischen Staatsverständnisses auf die Wahrung eines traditionellen Familienbildes baut. Damit geht unter anderem das sogenannte «Male-Breadwinner-Modell» einher, welches die männlichen* Mitglieder der Gesellschaft zur Erwerbsarbeit, die Frauen* dagegen zur Care-Arbeit ermuntert. Ein Zusammentreffen dieses Systems mit postdemokratischen Tendenzen bedeutet dabei, dass sich gegebene Zustände manifestieren und kaum hinterfragt werden. Wer nun aber glaubt, der Feminismus habe hier als Sprachrohr einer jahrhundertealten Bewegung leichtes Spiel, freut sich zu früh, denn ein weiteres Phänomen steht einer neuen, politisch formulierten Forderung nach mehr Geschlechtergerechtigkeit massiv im Wege. Was ist eigentlich feministisch? Und was nicht? Die Antwort auf die Frage Was bedeutet Feminismus? mag für einzelne Personen eine unstrittige sein, jedoch gestaltet sich eine Konsensfindung im Sinne einer durchführbaren, politischen Agenda als außerordentlich schwierig. Während gesamtgesellschaftlich auch in postdemokratisch geprägten Gebieten bestimmte, geschlechtsspezifische Problemfelder und entsprechende Lösungsstrategien bestehen bleiben (dazu gehört unter anderem die geschlechtsspezifische Armutsforschung, die Period-Positivity-Bewegung sowie Pro-Choice-Demonstrationen und Bemühungen zum Beenden sexueller Gewalt), können all diese Felder naturgemäß nur dann behandelt werden, wenn der Feminismus endgültig in Form eines nachhaltigen, konsistenten Policy Making Einzug in die Alltagspolitik findet. Welche Anliegen nun aber feministisch sind und welche nicht, ist eine Frage, über die sich vermutlich endlos gestritten werden kann. Setzt die differenzfeministische Bewegung vor allem auf eine Aufwertung des weiblichen Geschlechts, gehen Feminist*Innen nach Butler auf die Barrikaden, wenn es um ein «natürliches» Geschlecht geht. Auch auf regionale und kulturelle Unterschiede ist hier zu achten: Die Kritik am vornehmlich weißen, westlichen Feminismus und dessen Vereinnahmung der Frauen*bewegungen weltweit kommt nicht von ungefähr und ist zu beachten, um in der internationalen Zusammenarbeit künftig derartige Hegemonien einzudämmen.
Damit steht fest: Die Integration von einem wie auch immer gearteten Feminismus in eine eingeschlafene politische Diskussionskultur gestaltet sich aus mehreren Gründen als schwierig und ist von einer Konsensfindung abhängig, die wiederum den Diskurs voraussetzt – ein Teufelskreis.

Mainstream-Feminismus oder die schwierige Frage nach dem Label

Es gilt also zunächst einmal herauszufinden, was Feminismus bedeuten kann, um sein Potential vollends ausschöpfen zu können. Ein wichtiger Zwischenschritt dabei ist, von Feminismen zu sprechen, um einzelnen Anliegen, die allesamt im Sinne einer gerechteren Geschlechterpolitik zu erreichen sind, gerecht zu werden. Sind wir in der Lage, abseits von feministischen Bildern im Mainstream zu sprechen, können verschiedene Feminismen endlich vollends als Plattform für (geschlechter-)politischen Diskurs dienen. Der dahinterstehende Prozess des individuellen Sich-Aneignens feministischer Denkart muss jedoch einhergehen mit einem tiefen Gefühl der Toleranz gegenüber jenen, die andere feministische Konzepte für sinnvoller halten. Zwar wird die Streitfrage, was dann als «Kernelemente» des Feminismus gehandelt werden muss, an anderer Stelle erörtert werden müssen – nichtsdestotrotz verdeutlicht die Komplexität der Thematik, welchen Herausforderungen wir uns nicht entziehen dürfen. Nur so hat «der» Feminismus die Chance, glaubhaft und nachhaltig innerhalb postdemokratischer Verhältnisse zu wirken und diese schlussendlich wieder zu einem lebendigen Diskurs zu bewegen.

[1] Vgl.: http://fra.europa.eu/en/publication/2014/violence-against-women-eu-wide-survey-main-results-report

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